Eine Analyse von Wolfgang Feist (6.4.2022; ergänzt 2.5.; ergänzt 27.8.2022)
Deutschland scheint jetzt besonders stark betroffen zu sein von der Notwendigkeit, den Verbrauch an Gas aus Russland zu reduzieren. Viel wird darüber geredet, wie es nun genau dazu kam und wer daran schuld ist. Hier geht es mir ausschließlich darum, Wege zu skizzieren, wie wir aus der „doppelten Zwickmühle“, wie es manchen Kommentatoren erscheint, schnell und wirksam herauskommen: Die Abhängigkeit vom Erdgas verringern und zugleich die CO2-Emissionen senken, wie es der IPCC-Bericht gerade wieder dringlich angemahnt hat. Eine Vorbemerkung ist aber notwendig:
…wie es in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt von sehr vielen geglaubt wurde. Erdgas ist eine fossile Energiequelle - und bei Förderung, Verteilung und Verbrennung gibt es Emissionen sowohl an CO2 als auch an Methan, dem noch viel wirksameren Treibhausgas1). Wird das Erdgas zum Transport verflüssigt und/oder wird es durch sog. „Fracking“ gewonnen, ist das Treibhauspotential noch deutlich höher. Auch Erdgas wird daher innerhalb der kommenden 2 bis 3 Jahrzehnte nahezu vollständig durch nicht-treibhauswirksame Energieträger ersetzt werden müssen2). Den Verbrauch an leitungsgebundenem Erdgas in dem Ausmaß zu steigern, wie das offenbar für die nächsten Jahre einmal vorgesehen war, birgt die Gefahr, nicht zur „Übergangslösung“ sondern zur Zementierung einer neuen Abhängigkeit zu führen. Ein vollständiger Ersatz der (gigantischen!) Erdgas-Mengen, die z.B. für die Raumheizung eingesetzt werden, durch erneuerbar erzeugtes Gas - das wird es so schnell nicht geben [EwR 2021] . Und wenn es je eine so hohe Synthesegas-Produktion (ob Wasserstoff oder Bio-Methan oder Wind-Gas) geben wird, dann wird so erzeugtes Gas immer (sehr viel) teurer sein als wir es heute vom Erdgas gewohnt sind.
Tatsächlich folgt mehr als die Hälfte des Erdgas-Verbrauchs heute dem Außentemperaturgang - und das bedeutet, dass es sich um Heizaufgaben mit dominanten Wärmeverlusten an das Außenklima handelt, vor allem Raumheizung in allen Sektoren3).
Monatlicher Verlauf des Erdgas-Verbrauchs in Deutschland: der temperaturabhängige Anteil ist dominant. Datenquelle: BDEW. Die Gesamtmenge ist erheblich höher als der Stromverbrauch in Deutschland. Der beträgt um 500 TWh/a. |
Dass dafür überhaupt Energie verbraucht wird, das liegt ausschließlich daran, dass wir diese Wärme immer noch über unzureichend geschützte Dächer, Fassaden, Fenster und Decken entweichen lassen4). Und das lässt sich ändern, wenn es sein muss, sogar schnell. Nicht komplett innerhalb nur eines Jahres5); das ist die Folge der jahrzehntelang aufgebauten Abhängigkeit. Aber jedenfalls viel schneller als viele der oft diskutierten Großinvestitionen in Kernfusion, neue Kernreaktorlinien oder Wasserstoff-Infrastruktur; allesamt hohe konzentrierte Investitionen mit langen Vorlauf- und Bauphasen und deutlich höheren Energiekosten, als wir das heute gewohnt sind. Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Die eine oder andere neue Erzeugungsinfrastruktur werden wir ebenfalls brauchen6). Das wird aber erheblich entspannter, wenn die Verluste nicht so gigantisch hoch bleiben, wie sie es derzeit sind. Vorzugsweise geht die vollständige Versorgung dann sogar mit einem verträglichen Windenergie-Ausbau, vermehrter Photovoltaik und einer Substitution durch erneuerbar erzeugtes EE-Gas7) für einige Industriebereiche. Die anderen Erdgas-Verbraucher, insbesondere die Raumheizung, lassen sich mit verbessertem Wärmeschutz nämlich ohne weiteres durch Wärmepumpen aus dem bestehenden Stromnetz versorgen. Und auf diesem Weg lassen sich beide Ziele wirksam zusammen erreichen: Der schnelle Weg weg vom Erdgas UND die zeitgleiche Reduktion der Klimagas-Emissionen.
Die Programme zur Modernisierung des Gebäudebestandes hatten über Jahrzehnte hinweg keinen Vorrang: Daher sind in Deutschland wesentlich weniger Gebäude jährlich saniert worden (nämlich unter 2% pro Jahr) und die auch noch in meist völlig unzureichender Qualität. Es gibt einen Modernisierungsstau - die Ursachen dafür sind vielfältig, auch die werden wir hier nicht analysieren.
Das lässt sich aber ändern: Wenn der Vorrang im Bausektor jetzt klar auf die Modernisierung gelegt wird, dann können auch 5% der Gebäude8) jährlich saniert werden. Entscheidend dabei ist aber, dass jede einzelne dieser Sanierungen die Potentiale auch wirklich ausschöpft: Ganz im Gegensatz zu oft geäußerten Meinungen ist es nämlich kaum teurer, bei einer ohnehin angefassten Sanierung „es gleich richtig“ zu machen; eben 3-Scheiben-Verglasung anstelle von nur 2-fach, oder saubere Bauteilanschlüsse anstelle von Wärmebrücken; und natürlich nicht wieder eine Brennstoff-betriebene Heizung9). Wie das geht, hat das Projekt "euroPHit" gezeigt; dazu gibt es bereits eine publizierte Wirksamkeitsanalyse "Retrofit with Passive House components". Wie lässt sich das in der Breite umsetzen?
Alle diese Punkte können wir JETZT gezielt angehen. Und sie entlasten definitiv die Situation der Gasversorgung im kommenden Winter, sie reduzieren aber zugleich schon im ersten Jahr die Klimagas-Emissionen und tun dies in den folgenden Jahren immer wieder aufs neue. Dies sind Maßnahmen, die sowohl den Klimazielen dienen als auch die Gasabhängigkeit reduzieren. Und diese Maßnahmen haben jeweils noch spürbaren weiteren Nutzen: Kompetent angebrachter Wärmeschutz erhöht die Werthaltung des Gebäudes und verbessert den Komfort - Wohnungslüftung mit Wärmerückgewinnung dient vor allem auch der Raumluftqualität und Raumklima-Split-Geräte erlauben die Verbesserung des sommerlichen Raumklimas in einer Welt im Klimawandel. Allen hier beschriebenen Maßnahmen ist gemein, dass sie die Kompetenz im Handwerk erhöhen, sinngebende Arbeitsplätze schaffen und nachhaltige Produktion nach Europa holen. Alles, was hierfür gebraucht wird, kann in Europa gewonnen und produziert werden.
Und noch ein evtl. gar nicht unwichtiger Punkt: Sollte es wirklich „eng“ werden auf der Versorgungsseite: Jede der genannten Maßnahmen erleichtert es, auch im Notfall die Wohnung warm zu halten; zumindest einige Räume. Im aller schlimmsten Fall bleibt selbst eine Situation ganz ohne Brennstoff immer noch erträglich; im schlecht gedämmten Gebäude sieht es anders aus.
Auch wenn alle hier von uns beschriebenen Effizienz-Maßnahmen im Grundsatz sogar innerhalb weniger Tage ausgeführt werden können13), so benötigt es oft für die Entscheidung dazu, das auch wirklich zu tun, etwas Zeit. Manches davon „geht“ auch noch im Herbst oder sogar im Winter 14). Leider waren diese praktikablen Möglichkeiten gar nicht im Fokus der politischen, medialen und öffentlichen Kommunikation15). Und deshalb ist da möglicherweise auch bisher nicht sehr viel passiert. Das bleibt trotzdem auch weiterhin das größte Potential und zudem das am einfachsten erschließbare - und, es bringt auch in Bezug auf die Klimakrise etwas, und das sogar nachhaltig.
Je näher der Winter kommt, umso stärker helfen dann am Ende nur noch Energiesparmaßnahmen im klassischen Sinn, nämlich Dinge wie reduzierte Duschzeiten, herabgesetzte Raumtemperaturen und langsameres Fahren. Vieles davon muss auch nicht wirklich belastend sein - sehr viel Geld ausgeben für jetzt extrem teures Gas und Öl ist es für sehr viele Haushalte aber schon. Wichtig beim „Energiesparen“ ist aber auch, zu wissen, wie wir das vernünftiger Weise tun: Wieviel welche Maßnahme wirklich „bringt“, welche Gefahren es gibt16) und wie ich die vermeiden kann. Auch dafür sind unsere Seiten zum Thema da. Wir werden noch vor dem Winter mehr davon ergänzen. Erfahrungen17) dazu liegen in großem Umfang vor. Wenn wir auch nur einigermaßen vernünftig sind, dann kommen wir durch den nächsten Winter - mit ein wenig Solidarität und mit der Bereitschaft, sich die sachgerechten Informationen auch anzuschauen.
NEU im Dezember: Hier gibt es einen Erfahrungsbericht, wie sich das Heizen mit einem Klimagerät in der Energiekrise 2022 bewährt: Besonders sparsam heizen.
[EwR 2021] Engineering with Rosie: "Hydrogen in the Network" an eye-opener to the substitution of natural gas by green hydrogen. By the way: A process called after „Sabatier“ allows for production of CH4 from hydrogen and CO2; this would be a technical possibility, but of course with somewhat higher transformation losses. So, it's a good idea, to use such EE-gas efficiently - that is, what we describe with the PER-factor.