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Thermische Behaglichkeit im Passivhaus

Richtig spannend ist, dass durch die Anforderungen des Passivhaus-Standards alle Behaglichkeitskriterien automatisch optimal erfüllt werden - eine erheblich bessere Wärmedämmung verbessert zugleich die thermische Behaglichkeit. Und das kann ganz einfach verstanden werden:

  • Durch eine bessere Wärmedämmung (gleichgültig, an welchem Außenbauteil) verringert sich der Wärmestrom von innen nach außen.
  • Daher ist auch der Wärmestrom vom Innenraum an die Innenoberfläche dieses Außenbauteils geringer. Der Wärmestrom überwindet den sog. Wärmeübergangswiderstand der Oberfläche (Strahlung und Konvektion).
  • Der geringere Wärmestrom hat einen geringeren Temperaturabfall über diesem Wärmeübergangswiderstand zur Folge, mit anderen Worten: Die Temperaturdifferenz zwischen dem Raum (den Oberflächen im Raum und der Raumluft) und der Innenoberfläche des besser gedämmten Bauteils nimmt ab.


Die praktische Konsequenz: Bei sehr gut wärmedämmenden Außenbauteilen ist die Temperatur der Innenoberfläche nur wenig verschieden von den übrigen Temperaturen im Raum; das gilt im Sommer wie im Winter. In der kalten Jahreszeit bedeutet das, dass auch die Innenoberflächen der Außenbauteile behaglich warm sind (Außenwände, Dächer usw. höchstens 1 °C unter der Raumtemperatur, Fensteroberflächen maximal 3 bis 3,5 °C darunter [Pfluger 2003] ). „Passivhaus-Qualität“, insbesondere bei Fenstern, wird sogar gerade so definiert: Die Dämmwirkung eines für Passivhäuser geeigneten Fensters muss so gut sein, dass bei kältesten Auslegungsbedingungen immer noch

Raum - θ Oberfl| ≤ 3,5 °C

bleibt. Diese geringen Temperaturdifferenzen wirken sich nun auf alle Behaglichkeitskriterien aus, und zwar in folgender Weise:

  • Luftgeschwindigkeiten im Raum werden (von durch Fugen einströmender Kaltluft einmal abgesehen - die gibt es aber im luftdichten Passivhaus ohnehin nicht) durch den Auftrieb an unterschiedlich warmen Oberflächen erzeugt. Durch die geringen Temperaturdifferenzen sind die Auftriebskräfte nun nur sehr gering. In der Folge bleiben auch die Luftgeschwindigkeiten sehr gering. Abb.1 zeigt ein Simulationsergebnis mit einem CFD-Programm: Keine Zugluft im Aufenthaltsbereich, auch wenn kein Heizkörper unter dem Fenster vorhanden ist.


Abb. 1: Passivhausfenster, Luftströmung: Durch den geringen Temperatur-
unterschied zwischen Fensteroberfläche und Raumlufttemperatur ist die
Luftgeschwindigkeit der am Fenster abfallenden Luft nur gering. Am Fuß-
boden wird die Luft umgelenkt: In etwa 10 cm Entfernung vom Passivhaus-
fenster (Uw = 0,8 W/(m²K)) beträgt die maximale Luftgeschwindigkeit noch
0,11 m/s. Das ist ein kaum wahrnehmbarer Wert. Ist die Dämmwirkung des
Fensters aber weniger gut, so steigt die Luftgeschwindigkeit auf störende
Werte an. Deshalb ist es empfehlenswert, bei „normalen Fenstern“ unter
dem Fenster einen Heizkörper zu positionieren.
(CFD-Simulation: J. Schnieders, PHI).


  • Die Differenz der Strahlungstemperaturen in verschiedene Richtungen können nicht höher als 3,5 °C werden, wenn die Außenoberflächentemperatur nur maximal 3,5 °C unter der Raumtemperatur liegt. Die Thermographieaufnahmen in Abb.2 bis Abb. 4 zeigen den Unterschied zwischen den verschiedenen Qualitäten von Fenstern.


Abb. 2: Wärmebildaufnahme eines Passivhaus-
fensters von der Innenseite. Alle Oberflächen
(Blendrahmen, Flügelrahmen und Verglasung)
sind angenehm warm (über 17 °C). Selbst am
Glasrand sinkt die Temperatur in diesem Bild
nicht unter 15 °C ab.
(Aufnahme: PHI; Objekt: Passivhaus Darmstadt
Kranichstein)

Abb. 3: Zum Vergleich ein Altbaufenster mit
Zweifach-Isolierverglasung: hier liegen schon
die mittleren Oberflächentemperaturen unter
14 °C. Aber auch der Einbau zeigt auffällige
Wärmebrücken, besonders im Bereich des
Sturzes. Die Folgen: Strahlungstemperatur-
Asymmetrie, Zugluft und Kaltluftsee.
(IR-Aufnahme: PHI im Büroraum des Institutes)

Abb. 4: Zweischeiben-Wärmeschutz-
verglasungen (hier bei einer neu ein-
gebauten Fenstertür) haben schon
höhere Oberflächentemperaturen (16 °C
im Mittel). Auffällig ist bei dieser
Aufnahme die sehr schlechte Dämmung
des konventionellen Fensterrahmens.
Passivhausrahmen erlauben eine
bedeutende Qualitätsverbesserung.


  • Die Raumlufttemperaturschichtung zwischen Kopf und Fußknöchel bei einer sitzenden Person beträgt weniger als 2 °C - aber nur unter der Voraussetzung, dass der effektive mittlere U-Wert des Außenbauteils unter 0,85 W/(m²K) liegt. Vgl. dazu die Abbildung in der Seite Einflussgrößen auf die thermische Behaglichkeit
  • Die empfundenen Temperaturen unterscheiden sich im Raum von Ort zu Ort um weniger als 0,8 °C.


Alle Behaglichkeitskriterien sind in optimaler Weise erfüllt, ohne dass es einer ausgleichenden Strahlungsheizfläche bedarf. In einem Raum im Passivhaus gibt es deshalb „automatisch“ ein Strahlungswärme-Klima, unabhängig davon, wie die Wärme zugeführt wird. Mehr noch: da es keine großen Temperaturunterschiede gibt, bleibt auch die Luftbewegung gering. Die hier dargestellten Ergebnisse sind in der Publikation [Pfluger 2003] belegt und durch praktische Erfahrungen der Nutzer immer wieder bestätigt worden.


Dass sich diese Eigenschaften gut gedämmter Gebäudehüllen auch in der Praxis so wahrnehmen lassen, wird von drei unabhängigen Forschungsergebnissen bestätigt:

  • Thermographieaufnahmen und Lufttemperatur- sowie Geschwindigkeitsmessungen in Passivhäusern bestätigen experimentell die hier dargestellten Ergebnisse ([Schnieders 2002] ).
  • Physiologische Messungen von Bernhard Lipp objektivieren die Behaglichkeitsempfindung ([Lipp 2004] ).
  • Sozialwissenschaftliche Befragungen einer repräsentativen Anzahl von Bewohnern liefern sehr gute Noten für gut wärmegedämmte Gebäude ([Hermelink 2004] ).


Siehe auch

Literatur

[Pfluger 2003] Pfluger, R.; Schnieders, J.; Kaufmann, B.; Feist, W.: Hochwärmedämmende Fenstersysteme: Untersuchung und Optimierung im eingebauten Zustand (Anhang zu Teilbericht A), 2003, Internet-Publikation

[Schnieders 2002] Schnieders, J.; Betschart, W.; Feist, W.: Raumluftströmungen im Passivhaus: Messung und Simulation HLH 03-2002, Seite 61 Kurzfassung im Internet: Bewohnererfahrung

[Lipp 2004] Lipp, B. und Moser, M.: Heizsysteme und Behaglichkeit: Ist Behaglichkeit physiologisch messbar? in: AkkP Protokollband Nr. 25, Darmstadt, 2004 Kurzfassung im Internet: Behaglichkeit

[Hermelink 2004] Hermelink, Andreas: Werden Wünsche wahr? Temperaturen in Passivhäusern für Mieter; in: AkkP Protokollband Nr. 25, Darmstadt, 2004 Kurzfassung im Internet: Mieterbefragung

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