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Nutzerverhalten
Fenster öffnen im Passivhaus? - möglich und erlaubt
Darf man im Passivhaus die Fenster öffnen? Eine oft gestellte Frage - hier die Antwort in aller Kürze: Ja, man kann die Fenster öffnen. Ja, man darf die Fenster öffnen.
In diesem Beitrag finden sich dafür Belege: Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen bewohnter Passivhäuser.
Die Passivhaussiedlung Wiesbaden wurde 1998 gebaut.
(Architekten: Faktor10, Darmstadt). |
Fenster im Passivhaus: natürlich öffenbar
Alle Passivhäuser, die vom Passivhaus Institut zertifiziert wurden, haben öffenbare Fenster. Nach Möglichkeit hat jeder Raum mindestens ein solches Fenster, optimal ist ein Dreh/Kipp-Beschlag.
Warum öffenbare Fenster?
Es gibt viele Gründe, aus denen Bewohnende eines Hauses gerne ein Fenster öffnen möchten: Jemandem etwas zurufen, die Vögel singen hören, kräftig Durchlüften… Diese Wünsche der Bewohnenden sind vorrangig, auch dann, wenn sie zu einem erhöhten Energieverbrauch führen sollten (was aber in der Regel in einem Passivhaus gar nicht der Fall ist, siehe unten).
Mit PHPP geplante Passivhäuser in Mittel-/Ost- und Nordeuropa benötigen im Sommer keine aktive Kühlung (d.h. keine Klimaanlage). Sie bleiben in Hitzeperioden dennoch schön kühl
– vorausgesetzt, die Fenster können tagsüber entsprechend verschattet werden und es ist in der Nacht ein hoher Luftwechsel möglich. Am einfachsten erreicht man den benötigten Luftwechsel mit geöffneten Fenstern. Diese Maßnahmen sind keine Besonderheiten für Passivhäuser und EnerPHit-Sanierungen, sondern übliche und bewährte Verhaltensweisen in traditionellen Gebäuden.
Nie ohne öffenbare Fenster!
Fast das ganze Jahr wie Anfang Juni
Sie kennen die Verhältnisse in einem traditionellen Haus Anfang Juni? Bei typischem Wetter in Mitteleuropa muss in einem traditionellen Haus im Juni nicht mehr geheizt werden. Zwar liegt die durchschnittliche Außentemperatur nur um 17°C, aber innere Wärmequellen und die Sonneneinstrahlung durch die Fenster heizen das Haus innen auf komfortable Temperaturen auf. Es kann sein, dass es manchmal sogar eher etwas zu warm wird. Dann machen die Nutzer die Fenster auf. Sollte es ihnen allerdings zu kalt werden, machen sie die Fenster wieder zu. Anfang Juni sind in Mitteleuropa fast alle Häuser Passivhäuser.
In einem richtigen Passivhaus ist der Jahresabschnitt, in dem das Haus ganz ohne Heizung funktioniert, auf einen viel längeren Zeitraum ausgedehnt. Je nach Standort, Nutzung und Besonnung beginnt dieser Zeitraum im März oder April und endet im Oktober oder November. In diesem Zeitraum wird man in einem Passivhaus die Fenster so nutzen, wie in traditionellen Häusern im Juni allgemein üblich:
„Ich mache die Fenster auf, wann immer ich das Bedürfnis dazu habe. Sollte es mir dann zu kühl werden, mache ich das Fenster wieder zu. Es wird dann schnell (innerhalb von 2 Minuten) auch ohne Heizung wieder warm“,
so die Aussage einer langjährigen Passivhaus-Bewohnerin.
Die Heizzeit in einem Passivhaus ist nur kurz. Messwerte aus dem Passivhaus Darmstadt Kranichstein. Erst ab Anfang Dezember wird überhaupt geheizt - und Mitte März ist es schon wieder vorbei. |
Und wie ist das im Winter?
In einem mitteleuropäischen Passivhaus fällt die Zeit, in der ein Heizbetrieb stattfindet, ziemlich genau mit dem „Winter“ nach dem Kalender zusammen: Die Heizung wird ab Mitte Dezember gebraucht und geht Mitte März außer Betrieb (je nach regionalem Klima, Nutzung und Baudetails kann sich der Zeitpunkt um plusminus einen Monat verschieben). In der übrigen Zeit sind die Heizung aus und die Fensternutzung wie im letzten Abschnitt beschrieben.
Zahlreiche in den letzten Jahren publizierte Untersuchungen zeigen, dass die Fenster auch in herkömmlichen Häusern in der Kernzeit des Winters sehr viel seltener geöffnet werden als zu anderen Zeiten (vgl. folgende Grafik). Das ist gut verständlich, denn ein geöffnetes Fenster bei Frost oder Sturm oder während Niederschlägen verbessert die Behaglichkeit nicht.
Messwerte aus der Passivhaussiedlung Wiesbaden zur Häufigkeit der Fenster- öffnung: Diese ist von Nutzer zu Nutzer sehr verschieden, aber im Winter viel geringer als im Sommer - auch bei den Niedrigenergiehäusern. Alle hier beobachteten Nutzungsvarianten haben die Funktion der Häuser nicht beeinträchtigt. (aus [Ebel 2001] ; Auszug hier) |
Das „normale“ winterliche Fensteröffnungsverhalten sorgt jedoch nicht für einen ausreichenden Luftwechsel, um eine einigermaßen akzeptable Qualität der Innenluft zu gewährleisten. Das zeigen einerseits die häufigen Feuchteschäden in traditionellen Häusern und andererseits Messungen der Innenraumluftbelastungen - sowie darüber hinaus auch direkte Messungen des Luftwechsels. Deshalb gibt es auch die Broschüren der Wohnungswirtschaft, die versuchen, intensiv über die Notwendigkeit einer verstärkten regelmäßigen Fensterlüftung aufzuklären. Mindesten alle 6 Stunden müsste Stoßgelüftet werden, am Tag und in der Nacht - vgl. Arten der Gebäudelüftung. Für normale Nutzer ist das lästig und oft sogar unmöglich, weshalb herkömmliche Gebäude im Winter meist viel zu wenig gelüftet werden.
Im Passivhaus ist das Lüftungsproblem gelöst: Durch eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung ist eine ausreichende Versorgung mit frischer Luft immer gewährleistet. Die im Haus erzeugte Feuchtigkeit und die Innenraumluftbelastungen werden garantiert abgeführt - ob die Bewohner nun Fenster öffnen oder nicht. Die Fenster öffnen, das geschieht jetzt nur noch, wenn die Nutzer dies aus irgendeinem Grund wirklich wollen.
Und dennoch kein überhöhter Wärmeverlust?
Natürlich erhöht ein zusätzliches Fensteröffnen im Winter die Wärmeverluste und bei Heizbetrieb auch den Wärmebedarf eines Hauses - beim Passivhaus genau wie bei einem traditionellen Haus.
Überraschend für die Wissenschaft war jedoch, dass dieser Zusatzverlust in 95% aller Nutzungsfälle vernachlässigbar ist. Die Auswertung der Messergebnisse zeigte, dass die Öffnungszeiten der Fenster in Passivhäusern so gut wie keine Rückschlüsse auf die Höhe der Heizwärmeverbräuche zulassen.
Korrelation? Fehlanzeige! Ein signifikanter Einfluss der Fensteröffnungszeit auf den Heizwärme- verbrauch ist nicht feststellbar. Woher kommen dann die Unterschiede? Das wird hier erklärt: Messergebnisse zum Passivhaus-Standard Quelle: [Ebel, Kah 2003] . |
In allen untersuchten Fällen ist der zusätzliche Wärmeverlust durch geöffnete Fenster in der Heizperiode nicht so hoch, dass die Funktion des Passivhauses in Frage gestellt wird. Der Energieverbrauch wird etwas höher - in der Regel um 1 bis 2 kWh/(m²a) und in extremen Fällen um bis zu 17 kWh/(m²a) - er bleibt aber immer extrem niedrig im Vergleich zu den in anderen Häusern üblichen Verbrauchswerten. Die Verbrauchsunterschiede, die durch verschiedene Temperaturwünsche in der Wohnung entstehen, sind sehr viel größer.
Diese Grafik zeigt die Messwerte der Passivhaussiedlung Wiesbaden für den Heizwärmeverbrauch aus dem gleichen Jahr, in dem auch die Fensteröffnungen aufgezeichnet wurden. - Die individuellen Verbrauchswerte sind deutlich unterschiedlich: Allerdings - die Fensteröffnung spielt für diese Unterschiede kaum eine Rolle. - Auch der höchste Einzelverbrauch ist „eigentlich“ ziemlich niedrig: 24 kWh/(m²a) entsprechend weniger als 2,5 Liter Heizöl pro Quadratmeter und Jahr. Der Durchschnitt liegt bei 1 Liter. (ebenfalls aus [Ebel 2001] ; Auszug hier). Ganz rechts (abgetrennt) ist zum Vergleich der Durschschnitts-Heizwärmever- brauch einer Siedlung nach gültiger Energiesparverordnung (EnEV) darge- stellt. Genaueres zum Vergleich der Messwerte mit jenen in „gewöhnlichen Neubauten“ finden Sie auf der Seite Messergebnisse zum Passivhaus-Standard. |
Es ist somit immer sinnvoll, ein Passivhaus zu bauen - und dazu muss man seine Gewohnheiten nicht ändern. Allerdings kann man sich das Fensterlüften im Winter auch sparen - es bleibt trotzdem behaglich und es gibt immer frische Luft im Haus. Und zwar ausreichend frische Luft - wie wichtig das ist, haben uns die Pandemie-Jahre gezeigt.
Kaum zu glauben...
Das klingt so einfach, es entspricht aber nicht den Vorstellungen der meisten Personen, die sie von einem Energiesparhaus und gar einem „extremen“ Energiesparhaus, wie dem Passivhaus, haben.
Das ist verständlich und berechtigt, denn Skepsis gegenüber dem Neuen und Unbekannten schützt vor Enttäuschungen.
Im Fall der Fensteröffnung im Passivhaus liegen aber schon jahrelange Erfahrungen vieler Nutzer vor. Hier finden Sie die Aussage eines Passivhaus-Bewohners, der es in seinen Worten schildert:
„Ob wir die Fenster im Winter öffnen möchten und wie lange, bleibt unsere Entscheidung. Auf das Konzept des Passivhauses hat das einen vernachlässigbaren Einfluss. Zumal bei Minusgraden will niemand - auch in herkömmlichen Häusern nicht - Fenster und Türen länger als ein paar Minuten offenstehen lassen. Es ist in der Regel aber nicht notwendig, die Fenster zu öffnen, da die Lüftungsanlage (nicht zu verwechseln mit einer Klimaanlage) ständig für eine ausreichende Menge Frischluft sorgt. Das Raumklima hat eine höhere Qualität als ein durchschnittlicher Neubau, bei dem das eigentlich im Winter notwendige mehrfache Durchlüften meist entfällt. Schimmelprobleme durch interne Feuchtigkeit können in einem Passivhaus nicht auftreten. Im Sommer ist ein Passivhaus ein normales Haus, bei dem man zur Kühlung nachts die Fenster öffnet. Das Haus, in dem ich wohne, wurde mit 13,6 kWh pro Quadratmeter und Jahr geplant und erreicht nach Messung 12,9 kWh, mit realem Benutzerverhalten und ohne Einschränkungen des Verhaltens: Passivhaus 'Wohnen & Arbeiten'.„
Da das Passivhaus aus der Phase der Forschung und Entwicklung längst heraus ist - es ist seit Jahrzehnten gelebte Praxis - gibt es einen einfachen Weg, herauszufinden, wie es sich konkret verhält: Passivhäuser kann man besichtigen und mit den Bewohnern sprechen. Am Tag des Passivhauses können Interessierte die Vorzüge durch eigene Erfahrungen kennenlernen: Bauherren und Eigentümer von Passivhäusern ermöglichen Ihnen einen Besuch. Das Passivhaus ist ein Konzept für jedermann. Jeder Bauherr, Architekt, Bauträger oder Investor kann und darf ein Passivhaus bauen.
Literatur
[Ebel 2001] W. Ebel, M. Großklos, T. Loga, K. Müller, B. Steinmüller: Wohnen in Passiv- und Niedrigenergiehäusern, IWU, 1. Auflage 2001 (vgl. auch den folgenden im Internet frei verfügbaren Auszug: Passivhaussiedlung Wiesbaden)
[Ebel, Kah 2003] W. Ebel, O. Kah: Tracergasmessungen: Auswirkungen von Fensteröffnung bei kontrollierter Lüftung; im Tagungsband der 7. Passivhaustagung Hamburg, Passivhaus Institut, 1. Auflage 2003