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EnerPHit-Sanierungen: Hocheffiziente Sanierung als gesellschaftliche No-Regret-Maßnahme
Autor:Jürgen Schnieders
Rahmenbedingungen und Ziele
In den nächsten Jahrzehnten wird sich der Gebäudebestand weltweit so verändern müssen, dass er kompatibel mit einem klimaverträglichen Energiesystem ist. Viele Länder haben entsprechende Absichtserklärungen unterzeichnet. In Deutschland gibt es beispielsweise das Bundes-Klimaschutzgesetz, das Netto-Treibhausgasneutralität bis 2045 verlangt. Auf EU-Ebene ist im Rahmen des ETS-2 vorgesehen, dass ab der ersten Hälfte der 2040er Jahre keine CO2-Zertifikate für das Inverkehrbringen von Brennstoffen mehr ausgegeben werden. Um das völkerrechtlich verbindliche Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 einzuhalten, demzufolge die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad begrenzt werden soll, wäre eher noch eine höhere Geschwindigkeit erforderlich. Langfristig wird die Netto-Treibhausgasneutralität jedenfalls zwingend kommen müssen.
Auch aus anderen Gründen als dem Klimaschutz ist ein Land gut beraten, den Verbrauch fossiler Brennstoffe aktiv zu reduzieren. Wie sich 2022 am Beispiel des russischen Erdgases erneut gezeigt hat, sind Sorgen um die Versorgungssicherheit, um politische Erpressbarkeit und um volkswirtschaftlich problematische Kostenschwankungen keineswegs aus der Luft gegriffen.
Verbleibende Treibhausgasemissionen gering halten
Ungeachtet der Frage, ob die Klimaneutralität des Gebäudesektors realistisch schon 2045, 2050 oder erst 2070 erreicht werden kann, müssen alle Anstrengungen dahingehend ausgerichtet werden, die kumulierten CO2-Emissionen bis dahin möglichst gering zu halten, sodass entsprechend verbleibende Emissionen idealerweise unterhalb des noch verfügbaren Emissionsbudgets bleiben.
Theoretisch gibt es viele verschiedene Wege, um das Ziel der Treibhausgasneutralität zu erreichen. Eine unverzichtbare Komponente ist natürlich die Erzeugung erneuerbarer Energien, ähnlich bedeutende Handlungsfelder im Gebäudebereich sind die Energieeffizienz und die Umstellung der Versorgung.
Der Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland sollte bereits im Jahr 2023 durch verschiedene Gesetzesänderungen beschleunigt werden. In den folgenden Szenarien wird ein Zuwachs der erneuerbaren Stromerzeugung bis auf über 1000 TWh/a im Jahr 2050 vorausgesetzt (gesamte Stromerzeugung 2023: 514 TWh). Die Energieeffizienz bestehender Gebäude mit Hilfe von Passivhauskomponenten erheblich zu verbessern, ist ein Baustein mit einer Reihe von Vorteilen. Der vom Passivhaus Institut definierte EnerPHit-Standard ist dabei der Maßstab für eine angemessene Sanierungsqualität.
Unter der obigen Annahme für die erneuerbare Stromerzeugung illustriert Abbildung 1 die Handlungsspielräume im Gebäudesektor. Gemäß der Gesetzgebung von 2020 würde das noch verfügbare Budget (grüner Balken) erheblich überschritten. Weitere bundespolitische Ambitionen im Jahr 2021 zielten auf einen verbesserten Wärmeschutz in Sanierung und Neubau sowie einen höheren Anteil erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung. Eine planmäßige Umsetzung vorausgesetzt – dazu ist es nicht gekommen – hätte man es damit knapp in den Bereich des verfügbaren Budgets schaffen können. Mit einer konsequenten Nutzung der Potenziale auf der Gebäudeseite, d.h. Kombination von Passivhausstandard im Neubau und Passivhauskomponenten in der Sanierung (“EnerPHit”), würde es jedoch noch deutlich besser gehen. Dann könnte der Gebäudesektor sogar dann noch innerhalb des Budgets bleiben, wenn z.B. der Ausbau der Erneuerbaren nur zu 50% umgesetzt werden kann.
Unverzichtbar: Erhebliche Reduktion des Energiebedarfs
Durch die konsequente Nutzung von Passivhaus-Komponenten lässt sich der Heizwärmebedarf des Gebäudebestands etwa um einen Faktor 4 reduzieren. Wichtig ist dabei, dass die effizienten Komponenten anlassbezogen eingesetzt werden: Wenn Bauteile ohnehin erneuert oder ausgetauscht werden müssen, ist der richtige Zeitpunkt, um mit minimalen Mehrkosten eine drastische Effizienzverbesserung zu erreichen. Dann sind diese Maßnahmen auch ökonomisch die beste Wahl.
Wie man in Abbildung 2 sieht, dauert es einige Jahrzehnte, den Heizwärmebedarf des Gebäudebestands auf diese Weise deutlich zu reduzieren. Den Prozess zu beschleunigen wäre allerdings kaum finanzierbar, da dadurch bestehende Werte vernichtet würden. Auf einem solchen beschleunigten Pfad würde auch der Bedarf an Material und Arbeitskräften zunächst stark anwachsen, nach zehn bis zwanzig Jahren aber genauso schnell wieder fallen. Außerdem droht erhöhte Geschwindigkeit auf Kosten der Qualität zu gehen; dann wäre das Resultat ein Gebäudebestand mittlerer Qualität, den weiter zu verbessern nicht finanzierbar wäre – eine Sackgasse. Der richtige Ansatz ist also eine Kopplung von sehr gutem Wärmeschutz an die üblichen Erneuerungszyklen.
EnerPHit ist wirksam
Passivhaustechniken haben ihre Wirksamkeit seit Jahrzehnten immer wieder bewiesen. Sie brauchen kaum Wartung und Einjustierung, die Gefahr von Fehlbedienungen hat sich in der Praxis als vernachlässigbar herausgestellt. Die Wirksamkeit lässt auch nach vielen Jahren nicht nach, wie z.B. die Messungen im Passivhaus Darmstadt-Kranichstein nach 25 Jahren Betrieb gezeigt haben ([PHI 2016].
EnerPHit ist kostengünstig
Der geringere Verbrauch von EnerPHit-Gebäuden wird durch Verbesserungen an ohnehin benötigten Komponenten erreicht. Daher sind die Mehrkosten gegenüber einer Standardsanierung vergleichsweise gering. Wie oben bereits erwähnt, zeigen detaillierte Analysen: Effizienzverbesserungen bei Sanierungen sind dann wirtschaftlich, wenn sie an die üblichen Sanierungszyklen gekoppelt werden, sodass für die Energieeinsparung im Wesentlichen die moderaten Mehrkosten von z.B. höherer Dämmstoffstärke oder besseren Fenstern anfallen. Dann aber lohnt sich hohe Qualität. Wie sich [PHI 2022] entnehmen lässt, sind die Gesamtkosten, Investition plus Energie, über den Lebenszyklus bei konsequenter Anwendung von EnerPHit-Qualität nach dem Kopplungsprinzip am geringsten.
Volkswirtschaftlich kommt hinzu: Da die erzielten Einsparungen zu geringeren CO2-Emissionen führen, tragen sie in der EU auch dazu bei, etwaige Strafzahlungen des Landes aufgrund nicht eingehaltener Klimaziele zu vermeiden. Gleichzeitig reduzieren sie die Kosten von CO2-Emissionen in Bereichen wie der Luft- und Seeschifffahrt, in denen diese schwieriger zu vermeiden sind.
ENERPHIT Ermöglicht die Deckung des Energiebedarfs
Im europäischen Klima wird der Energieverbrauch von Gebäuden durch die winterliche Heizung dominiert. Erneuerbare Energien sind aber vorwiegend im Sommer verfügbar, müssen also saisonal gespeichert werden, was erhebliche Verluste verursacht. Wieviel erneuerbare Energie erzeugt werden muss, um den Bedarf einer bestimmten Anwendung zu decken, gibt der PER-Bedarf wieder.
Für das Jahr 2070 ist er in Abbildung 5 dargestellt, gemeinsam mit dem Potenzial an erneuerbarer Energieerzeugung. Durch die Kombination von Passivhaus/EnerPHit mit einer Wärmeversorgung, die an ein erneuerbares Energiesystem angepasst ist, wird der PER-Bedarf sehr gering. So bleiben mehr erneuerbare Energien für schwieriger zu dekarbonisierende Anwendungen übrig.
EnerPHit spart Netzausbau
Als Energieträger im Bereich Raumwärme kommen in einem erneuerbaren Energiesystem ernsthaft nur zwei Optionen in Frage: elektrische Wärmepumpen und Fernwärme. Letztere bietet sich in städtischen Quartieren an, die auch nach thermischer Sanierung der Gebäude noch eine entsprechend hohe Wärmebedarfsdichte besitzen. Eine direkte Verbrennung von erneuerbarem Wasserstoff, Methan aus Power-to-Gas o.ä. für die Raumheizung wäre viel zu ineffizient und teuer.
Auf Basis des aktuellen Jahresgangs der Gasverbräuche zeigt [Feist 2024] nun: Wollte man einen vorsichtig geschätzten Anteil von 70% des Gebäudebestands im heutigen Zustand mit Wärmepumpen versorgen, müsste sich die Leistungsfähigkeit des Stromnetzes dafür fast verdoppeln. Hinzu kommt, dass diese Spitzenleistung möglicherweise mit einer Flaute zusammenfällt, sodass extra hierfür Spitzenlastkraftwerke bereitgehalten werden müssen, beispielsweise Gasturbinen, die nur wenige Stunden im Jahr laufen. Beides würde die Kosten einer erneuerbaren Versorgung signifikant erhöhen. Je höher die Effizienz der Gebäude, umso weniger Modifikationen am Netz sind erforderlich, um die aufwendige Raumwärmebereitstellung zu gewährleisten.
EnerPHit reduziert Energieimporte und den Bedarf an erneuerbarer Energieerzeugung
Betrachtet man statt der Spitzenleistung den gesamten Stromverbrauch der genannten Wärmepumpen über die Kernheizperiode von 4 Monaten, ergibt sich eine ähnliche Schlussfolgerung. In dieser Zeit scheint in Mitteleuropa kaum Sonne zur Erzeugung von PV-Strom. Dieses gegenläufige Verhalten von Raumwärmebedarf und erneuerbarer Energieerzeugung macht die eingesparten Kilowattstunden im Bereich der Heizung besonders wertvoll.
Der verbrauchte Strom muss – zumindest im Mittel über die Heizperiode – hauptsächlich durch Windenergie bereitgestellt werden. Importierte erneuerbare Energie, etwa in Form von Ammoniak, Wasserstoff oder Methan, wäre bedeutend teurer. Wiederum zeigt [Feist 2024] leicht nachvollziehbar auf, dass für die Versorgung der Wärmepumpen im unsanierten Gebäudebestand etwa 100 GW an installierter Windenergieleistung erforderlich wären, 145% mehr als Ende 2023 installiert waren. Durch konsequente Anwendung des oben beschriebenen Effizienzpfades, also hoher Effizienz in Verbindung mit dem Kopplungsprinzip, ließe sich dieser Bedarf über einen Zeitraum von 25 Jahren halbieren, was viele Schwierigkeiten bei Ausbau und Verteilung der Windenergie aus dem Weg räumt.
EnerPHit schafft Freiräume
Die ferne Zukunft ist naturgemäß schwer zu überblicken. Wie wird der Ausbau der erneuerbaren Energien voranschreiten? Was wird aus dem Energieverbrauch anderer Sektoren wie Industrie und Verkehr? Welche weltpolitischen Änderungen werden sich auf die Energieversorgung der Gebäude auswirken? Ein Gebäudebestand, dessen Nutzenergieverbrauch einzel- und volkswirtschaftlich vorteilhaft auf die Hälfte reduziert worden ist, der besonders komfortabel, gesund und krisenfest ist, dessen flexible und sparsame Energieversorgung in ein klimaneutrales Energiesystem passt, eröffnet einem Land in jedem Falle vorteilhafte Spielräume – die EnerPHit-Sanierung nach dem Kopplungsprinzip ist eine No-Regret-Maßnahme.
Quellen / Links
[Feist 2024] Feist, Wolfgang: Zunahme der elektrischen Last im Netz durch eine systematische Wärmepumpen-Strategie
[PHI 2022] Jürgen Schnieders, Wolfgang Feist, Benjamin Krick, Jan Steiger, Witta Ebel: Der Weg zu einem klimaverträglichen Gebäudebestand
[[PHI 2022] Passivhaus – die langlebige Lösung. Ein Vierteljahrhundert Erfahrung
[PHI 2023] Das erste Passivhaus in Darmstadt-Kranichstein
[Feist 2024] Feist, Wolfgang: Zunahme der elektrischen Last im Netz durch eine systematische Wärmepumpen-Strategie - Jahresenergiebedarf für Heizung und Warmwasser