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Projektspezifische Primärenergieanforderungen für die Passivhaus Zertifizierung
Autoren: Zeno Bastian, Elena Reyes Bernal, Jessica Grove-Smith, Jürgen Schnieders, Passivhaus Institut
Einleitung
Für die Gebäudezertifizierung nach dem Passivhausstandard gibt es festgelegte Kriterien für den Bedarf an erneuerbarer Primärenergie: 60 kWh/(m²a) für Classic, 45 kWh/(m²a) für Plus und 30 kWh/(m²a) für Premium. Aber die Zertifizierungskriterien [PHI 2016] enthalten auch die Möglichkeit von Ausnahmen im Falle spezieller Nutzungen mit hoher Energieintensität. Projektteams können ein projektspezifisches Ziel anfordern, welches von Fall zu Fall definiert wird.
Die Anzahl an größeren und gemischt genutzten Passivhaus-Gebäuden hat sich in den letzten Jahren signifikant erhöht, wobei immer mehr Projekte beim Passivhaus Institut für Ausnahmen bei der Primärenergie beantragt werden. Um mehr Transparenz und Konsistenz zu bieten und um den Zertifizierungsprozess für diese Gebäude zu rationalisieren und zu beschleunigen, entwickelt das Passivhaus Institut ein Schema für einen standardisierten Ansatz zur Beantragung von projektspezifischen Primärenergieanforderungen. Dies gibt dem Bauherrn bereits in der frühen Projektphase Planungssicherheit und macht das Passivhaus zu einem greifbaren Ziel, das es anzustreben gilt.
In einem ersten Schritt wurde dieses Schema für dicht besetzte Wohngebäude entwickelt und in einem Tool umgesetzt, das ein Primärenergieziel festlegt, basierend auf der Endverbrauch im Gebäude. Dieses Projekt wurde durchgeführt vom Passivhaus Institut in Kooperation und der Unterstützung von der Vancouver Zero Emissions Building Exchange (ZEBx) und einem technischen Ausschuss von Passivhaus Fachleuten aus ganz Nordamerika. Dieses Dokument zeigt, wie das Schema entwickelt wurde, sowie die Auswirkungen auf die Zertifizierung anwendbarer Projekte.
Hohe Energieintensität in Wohngebäuden
Einer der Hauptfaktoren, der zu einer Ausnahme von dem PE/PER-Kriterium in Wohngebäuden führt, ist die Belegungsdichte. Kleinere Wohneinheiten haben in der Regel einen höheren spezifischen Energieverbrauch pro m2 Wohnfläche. Dies wird verursacht durch (a) eine typischerweise höhere Anzahl an Personen pro m2 Wohnfläche [PHI 2015a] und (b) eine ähnliche Anzahl an Geräten (Kühlschrank, Waschmaschine, Elektrogeräte, usw.) im Vergleich zu einer größeren Wohneinheit, aber in einer kleineren Wohnfläche. Mehrfamilienhäuser haben auch einen zusätzlichen Energieverbrauch im Vergleich zu Einfamilienhäusern: zusätzliche Ausrüstung wie Pumpen und Aufzüge und zusätzliche Bereiche wie Korridore und Lagerräume (in diesem Dokument zusammengefasst bezeichnet als „Gemeinschaftsräume“).
Methodik
Der erste Schritt war die Identifizierung der relevantesten Endnutzungen in Wohngebäuden. Anschließend wurden geeignete Effizienzziele für jeden Endverbrauch auf Grundlage der Passivhauskriterien, der empfohlenen Werte für Passivhäuser, der Standardwerte und Hilfsberechnungen, die bereits in das PHPP integriert sind, und der Effizienzwerte der verfügbaren Technologien auf dem Markt abgeleitet. Diese Werte ergeben einen Zielwert für die Endenergie, der dann über Umrechnungsfaktoren in Ziele für Primärenergie (PE) oder erneuerbare Primärenergie (PER) umgerechnet wird. Die für das jeweilige Schema verwendeten Umrechnungsfaktoren berücksichtigen den Energieträger, den Endverbrauch und den Standort. Die berechneten Ziele wurden dann verifiziert durch einen Vergleich mit PHPP Modellen von Projekten, die bereits zertifiziert wurden oder derzeit zertifiziert werden.
Definition der relevanten Endnutzungen und der entsprechenden Ziele
Die entsprechenden Effizienzziele für jede Endnutzung wurden wie folgt definiert:
- Heizen, Kühlen und Entfeuchten: Die Passivhaus Kriterien für diese Endnutzungen bilden die Grundlage für die Zielvorgaben.
- Lüftung, Warmwasserbereitung und Haushaltsgeräte: Diese Ziele werden in Bezug auf den Energiebedarf pro Person festgelegt und somit mit der Belegungsdichte skaliert.
- Hilfsstrom, Gemeinschaftsräume und Aufzüge: Diese Ziele werden auf Grundlage der Projekteigenschaften – Größe (EBF), Anzahl der Wohneinheiten oder ob das Projekt Aufzüge und / oder Gemeinschaftsräume umfasst – angepasst.
Tabelle 1 beinhaltet die Zielvorgaben und Umrechnungsfaktoren für jede Endnutzung. Während des Übergangs zu einer vollständigen Versorgung mit erneuerbarer Energie PER ist die Passivhaus Zertifizierung entweder über PER- oder PE-Bedarf möglich. Das angepasste Ziel ist daher auch für beide Systeme verfügbar.
Nachweis
Die Anwendbarkeit des neuen Ansatzes für die Definition projektspezifischer PE/PER-Ziele wurde im Detail durch sechs Projekte in verschiedenen Klimazonen überprüft: 5 Mehrfamilienhaus-Projekte und 1 Einfamilienhaus-Projekt (das Standardbeispiel in PHPP). Die Analyse beinhaltet eine Reihe von Szenarien, die die Leistung des Gebäudes mit unterschiedlichen Effizienzgraden der Ausrüstung und der Geräte widerspiegeln. Tabelle 2 fasst die Hauptmerkmale der verschiedenen Szenarien zusammen und Abbildung 1 enthält die wichtigsten Ergebnisse der Analyse.
Wie in Tabelle 2 zu sehen ist, beinhalteten die Szenarien die Änderung von Ausstattung und Geräten, untersuchten aber nicht die Verbesserung anderer Aspekte, die die Energiebilanz beeinflussen. Die Analyse ergab, dass die allgemeinen 60 kWh/(m²a) PER-Kriterium bei Projekten mit kleineren Wohneinheiten ohne Ausgleich durch erneuerbare Energieerzeugung möglicherweise nicht erreicht werden kann. Mit Ausnahme des Einfamilienhauses (ganz rechts in Abbildung 1), lagen die Projekte alle über dem Grenzwert, sofern nicht die besten verfügbaren Geräte verwendet wurden. Für die Fälle mit den kleinsten Wohneinheiten (nach links in Abbildung 1) war eine Kombination aus den besten Geräten und effizienten Wärmepumpen erforderlich.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Ziel mit der Belegungsdichte zunimmt: je kleiner die Wohneinheit, desto höher der neue PER-Grenzwert. Das angepasste PER-Ziel liegt zwar über dem ursprünglichen Grenzwert, aber immer noch unter dem Szenario “PH geeignete Geräte”. Dies deutet darauf hin, dass einige Aspekte der ursprünglichen Projekte (z.B.: Verteilungsverluste im Warmwassersystem) noch verbessert werden könnten oder das Projekt benötigt eine Ausstattung oder Geräte, die eine bessere Leistung als das durchschnittliche Passivhaus erbringen, um sich für eine Ausnahme zu qualifizieren.
Eine zweite Analyse wurde durchgeführt, um die Berechnung für weitere Projekteigenschaften und Standorte zu überprüfen. Ein zusätzlicher Satz von 28 Wohnprojekten in allen Passivhaus-Klimazonen (außer arktisch), die sich in Größe und Anzahl der Wohneinheiten unterscheiden, wurde berechnet. Abbildung 2 beinhaltet die Ergebnisse der zweiten Analyse.
Die Analyse bestätigte Folgendes:
- Das angepasste Ziel ist im Vergleich zu bestehenden PHPP Modellen realisierbar. Alle außer eines der Projekte (siehe Abbildung 2) sind entweder durch das angepasste PER- oder PE-Schema zertifizierbar. Die Hauptfaktoren, die die Leistung des nicht zertifizierbaren Projekts beeinflussen, sind ein sehr ineffizienter Aufzug und die Heizung mit direktem Strom. Durch die Änderung einer dieser beiden Punkte würde das Projekt unter der PER-Grenzwert liegen.
- Die Ausnahme wird nur gewährt, wenn die Energie für alle wesentlichen Geräte effizient genutzt wird. Sie stellt keine „Lockerung“ der ursprünglichen Kriterien dar. Sobald die Wohneinheit groß genug ist (ungefähr 75 m² für PE und 90 m² für PER), liegt das berechnete Ziel nahe am oder unter dem ursprünglichen Kriterium.
- Die Projekte, die den angepassten Grenzwert für PER überschreiten, verfügen über einen Kessel für Warmwasser und / oder Heizung. Dies spiegelt angemessen die Tatsache wider, dass solche auf fossilen Brennstoffen basierenden Lösungen im Rahmen einer nachhaltigen erneuerbaren Energieversorgung nicht zu empfehlen sind. Solche Projekte sind momentan durch PE zertifizierbar, solange die Übergangsphase zur PER noch läuft.
- Es gibt nur ein Projekt, bei dem der PER-Bedarf höher ist als der PE Bedarf (siehe Abbildung 2). Dieses Beispiel zeigt den Hauptunterschied zwischen dem PER- und dem PE-Konzept: das PER-Schema geht von einem vollständigen Übergang zur Versorgung mit erneuerbarer Energie aus und spiegelt somit den Energiebedarf der Projekte aus erneuerbaren Quellen wider [PHI 2015b], während das PE Schema die auf fossilen Brennstoffen basierenden Energiequellen in der aktuellen / vergangenen Energieversorgungsstruktur widerspiegelt. In diesem Projekt wurden Pellets als Wärmequelle für Warmwasser und Raumheizung verwendet, was zu einem niedrigen PE Bedarf, aber zu einem hohen PER-Bedarf führte, da die Nutzung von Biomasse nicht mehr nachhaltig ist (es wird ein höherer Umrechnungsfaktor verwendet), sobald das Budget überschritten wird.
- Bei Passivhausprojekten, bei denen die Energie für Heizung und Kühlung bereits deutlich reduziert wurde, wird der Beitrag anderer Endnutzer zum Gesamtenergiebedarf relevanter. Die Analyse hat gezeigt, dass es ein großes Potential für eine weitere Senkung des Energiebedarfs (a) von Warmwasser durch die Begrenzung von Verteilungsverluste und (b) von Haushaltsgeräten durch den Einsatz energieeffizienterer Geräte gibt, die sowohl auf dem europäischen als auch auf dem nordamerikanischen Markt erhältlich sind.
Projektbezogene Anwendung der angepassten PER/PE-Ziele
Für Projekte, die eine Ausnahme von den allgemeinen PE/PER-Kriterien beantragen, kann das Ziel mit dem neu entwickelten Tool berechnet werden, das mit der PHPP-Datei des Projekts verknüpft ist. Das Tool erlaubt auch den Vergleich des Ziels pro Endverbrauch mit den Projektergebnissen (siehe Abbildung 3), wodurch es einfacher wird, die Endnutzungen zu identifizieren, bei denen der Energiebedarf verbessert werden kann.
Die Berechnung ist derzeit nur für Wohngebäude gültig. Wenn das Gebäude andere Nutzungen enthält (z.B. Einzelhandel, Schwimmbad), wird der Gesamtgrenzwert das kombinierte Ziel für die verschiedenen Nutzungen sein (flächengewichteter Durchschnitt). Das angepasste PE/PER-Ziel wird in einer Testphase umgesetzt, in der das Tool akkreditierten Passivhaus-Zertifizierern zur Verfügung gestellt wird. Nach der Testzeit wird die Berechnung in eine spätere Version des PHPP integriert.
Das Ziel für den PER-Bedarf kann auch für die Nutzung mit den Klassen angepasst werden. Das Kriterium für die Erzeugung erneuerbarer Energien ändert sich nicht, aber der PER-Bedarf wird zum Ziel, wie berechnet für Passivhaus Classic, das Ziel -15 kWh/(m²a) für Passivhaus Plus und -30 kWh/(m²a) für Passivhaus Premium. Wie Abbildung 4 zeigt, wird auch das alternative Kriterium, das einen erhöhten Energiebedarf durch Ausgleich mit erneuerbarer Energieerzeugung zulässt, entsprechend angepasst.
Zusammenfassung, Schlussfolgerung und Ausblick
Bis heute enthielten die Passivhaus-Kriterien ein festes Primärenergieziel, das es zu erfüllen galt. Ausnahmen waren in einzelnen Fällen nach sorgfältiger Bewertung der implementierten Effizienzniveaus durch das Passivhaus Institut möglich. Die neu vorgestellte Methodik zur Berechnung von PE/PER-Zielen, die auf den in einem Projekt verfügbaren Endverwendungen basiert, ermöglicht eine viel einfachere, schnellere und transparentere Definition der zulässigen PER-Bedarf, wenn eine Ausnahme von dem Kriterium erforderlich ist. Dies bietet mehr Sicherheit in früheren Phasen des Planungsprozesses, und durch die Anerkennung des Effekts der Belegungsdichte und des zusätzlichen Energieverbrauchs wird die neue Methodik vor allem positive Auswirkungen auf dicht belegte Mehrfamilienhausprojekte haben, die bisher Schwierigkeiten hatten, das PER-Kriterium zu erfüllen. Sie zeichnet zu Recht ausstehende Projekte aus, bei denen zusätzliche Anstrengungen zur Verbesserung der Energieeffizienz über die Passivhaus-Ziele hinaus mit der Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen kombiniert werden.
Längerfristig ist geplant, das neu entwickelte Tool und die Methodik mit dem Ziel zu erweitern, klar definierte PER-Ziele für eine Vielzahl an Gebäudetypologien mit hoher Energieintensität festzulegen.
Referenzen
PHI 2016 | Kriterien für den Passivhaus-, EnerPHit-und PHI-Energiesparhaus-Standard, Version 9f, Stand 26.08.2016; Passivhaus Institut, 2016. |
PHI 2015a | Interne Wärmequellen in Abhängigkeit von der Wohnfläche: Neufassung der Standardansätze für interne Wärmequellen von Wohngebäuden für das PHPP 9. Passipedia Artikel, abgerufen von: https://passipedia.de/planung/energieeffizienz_ist_berechenbar/energiebilanzen_mit_dem_phpp/interne_waermequellen_in_abhaengigkeit_von_der_wohnflaeche 29. Juli, 2019. |
PHI 2015b | Passivhaus – das nächste Jahrzehnt. Passipedia Artikel, abgerufen von: https://passipedia.de/grundlagen/nachhaltige_energieversorgung_mit_passivhaeusern/passivhaus_-_das_naechste_jahrzehnt 29. Juli, 2019. |
VDI 4770-1 | Verein Deutscher Ingenieure. VDI 4770-1: Aufzüge Energieeffizienz /Lifts Energy Efficiency. March 2009. |
Zusammenfassung
In diesem Papier wird die Methodik zur Ableitung von PE/PER-Zielen für Wohnprojekte mit hoher Belegungsdichte beschrieben. Diese werden mit einem Tool berechnet, das mit einer PHPP-Datei verknüpft ist, und basieren auf der Summe des Primärenergiebedarfs für einzelne Endnutzungen im Gebäude (z. B.: Beleuchtung, Aufzüge usw.)