Inhaltsverzeichnis
Passivhaus-Heizsysteme in der Praxis - Ergebnisse und Erfahrungen aus der Feldmessung
Einleitung
Die wissenschaftliche Klärung der bauphysikalischen Fragen, die Verfügbarkeit und Transparenz aller notwendigen Planungshilfen sowie die frühzeitige Prüfung der Wirtschaftlichkeit hat dem Passivhausstandard seinen Erfolg ermöglicht. Daneben waren es aber auch immer wieder die Überprüfungen der realisierten Passivhaus-Projekte durch aufwendige wissenschaftliche Messungen, die der Fachwelt und Politik bewiesen haben, dass die theoretischen Bilanzierungen in der Realität Bestand haben. Es ist hundertfach bewiesen, dass die angestrebten niedrigen Heizwärmeverbräuche tatsächlich dauerhaft gewährleistet werden. Auch das immer wieder „gefürchtete“ Nutzerverhalten stört die gute Performance des Standards nicht!
Die Motivation, die wissenschaftlichen Messungen durchzuführen, wandelte sich: Zu Anfang stand die Erfolgskontrolle der Projekte, explizit der Energieverbrauch, im Mittelpunkt. Inzwischen kommen immer weitergehende und speziellere Fragestellungen, insbesondere in Bezug auf andere Gebäudenutzungen (Nichtwohnbau) dazu. Bei der Messung und Auswertung der Projekte wurde teilweise recht unterschiedlich vorgegangen, so dass die Ergebnisse nicht immer miteinander vergleichbar sind. Mit dieser vorliegenden Arbeit wird der Versuch unternommen, einige dieser Untersuchungsergebnisse - trotz der verschiedenen Vorgehensweisen - systematisch zusammenzuführen. Es werden die gemessenen Verbräuche unterschiedlicher Projekte vergleichend analysiert, um bei den verschiedenen Gebäudetypen (EFH, MFH, RH, DH), Bauweisen (Massivbau, Leichtbau, Mischbau) und insbesondere haustechnischen Versorgungsvarianten und Heizsystemen ggf. Unterschiede aufzeigen zu können.
Dies ist teilweise problematisch, da die messtechnische Ausstattung und Anordnung der Sensoren sehr stark differiert. So ist es z. B. von großer Bedeutung ob ein Wärmemengenzähler an der Versorgungsseite („Input“) eines Warmwasserspeichers, auf der Verteilungsseite (Speicher „Output“) oder in der versorgten Wohnung positioniert wurde. Eine andere Problematik ergibt sich bei der Aufteilung der elektrischen Energie in den Heizwärme- und den Warmwassereinsatz bei Kompaktgeräten. Auch Art und Umfang der dokumentierten Messergebnisse bedingt die unterschiedliche Tiefe der möglichen Aussagen.
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Zusammenfassung
In dieser Arbeit werden die Untersuchungen und Messdaten von 18 beforschten Passivhausprojekten mit insgesamt 244 Wohneinheiten analysiert. Die Energiebezugsfläche aller Projekte zusammen beträgt 25.440 m². Neun der Projekte befinden sich in Deutschland, acht in Österreich und eines in der Schweiz. Aufgrund der besseren Datenlage sind die deutschen Projekte intensiver ausgewertet worden.
Die Objekte unterscheiden sich im Gebäudetyp (EFH, MFH, RH, DH), in der Bauweise (Massivbau, Leichtbau, Mischbau) und insbesondere in den haustechnischen Versorgungsvarianten und Heizsystemen.
Bei der Untersuchung des Heizwärmeverbrauchs inkl. der nutzbaren Anteile aus Umwandlung, Verteilung und Speicherung ergibt sich ein flächenbezogener Mittelwert von 18,0 kWh/(m²a), raumlufttemperaturbereinigt beträgt er 14,7 kWh/(m²a). Damit liegt er gleichauf mit dem rechnerischen Grenzwert für Passivhäuser von 15 kWh/(m²a). Diese niedrigen Verbrauchswerte werden erreicht, obwohl bei einigen der Objekte technische Störungen oder anfängliche Regelungsprobleme etc. auftraten. Dies zeigt neben dem eigentlichen Erfolg der Projekte auch, dass trotz teilweise aufgetretener technischer Probleme die Gebäude gut funktionieren und die Verbrauchswerte - im Durchschnitt - immer noch sehr niedrig bleiben. Auch bei den Heizleistungen zeigt sich mit durchschnittlich knapp 8 W/m² die erfolgreiche Umsetzung der Gebäude. Bei herkömmlichen Gebäuden liegt der Wert etwa 10 mal so hoch.
Die Nutzwärme Warmwasser (inkl. der Erträge der solarthermischen Anlagen) liegt mit 14,2 kWh/(m²a) in einem dem durchschnittlichen Heizwärmeverbrauch ähnlichen Bereich.
Insgesamt ergibt sich für die deutschen Projekte als Summe aller Wärmeverbräuche (Heizwärme, Warmwasser, nutzbare und nicht nutzbare Wärmeverluste) ein guter Wert von 35,3 kWh/(m²a).
Die darin enthaltenen Wärmeverluste liegen zwischen 7 und 34 %. Hierbei sind deutliche Potentiale zur Verbesserung gegeben. Insbesondere bei Projekten mit längeren Verteilleitungen muss - trotz der insgesamt guten Resultate - noch eine weitere Optimierung erfolgen. Die Wärmeverluste nehmen z. T. die gleiche Größenordnung an wie die Heizwärmeverbräuche. Dies hat seine Ursache zunächst in der extremen Reduktion der Verbräuche gegenüber herkömmlichen Gebäuden. Damit ist aber nicht impliziert, dass die Verluste in diesen Projekten nicht generell zu groß sind. Einfachere Systeme ohne großen Verteil- und Speicheraufwand außerhalb der thermischen Hülle sind dabei im Vorteil.
Der Stromverbrauch ist - als hochwertige Energieform - für die Energiebilanz besonders wichtig. Insgesamt beträgt der Verbrauch für den reinen Haushaltsstrom 25,8 kWh/(m²a) und liegt damit niedriger als der deutsche Durchschnittsverbrauch. Für den gesamten Stromverbrauch inkl. Lüftungs-, Technik, Hilfs-, Allgemein- sowie Heizstrom (Wärmepumpe, Heizstab) ergeben sich 34,9 kWh/(m²a).
Dem Stromverbrauch der Lüftungsanlagen von durchschnittlich 3,3 kWh/(m²a) steht der Ertrag der Wärmerückgewinnung gegenüber. Wie bereits aus anderen Untersuchungen deutlich wird, macht sich dieser Stromeinsatz energetisch wie auch betriebswirtschaftlich bezahlt. An einem Beispiel wurde gezeigt, dass bei der Wärmerückgewinnung mit einer Kilowattstunde Strom 16,5 kWh/(m²a) Wärme erzeugt werden. Solche guten Arbeitszahlen lassen sich mit kaum einer anderen technischen Einrichtung erreichen.
Der Technik-, Hilfs- und Allgemeinstromverbrauch beträgt ohne Wärmepumpen 1,4 kWh/(m²a), der Stromverbrauch der Kompaktgeräte und Wärmepumpenanwendungen in den damit ausgestatteten Wohnungen allein 11,1 kWh/(m²a).
Die primärenergetische Bewertung der gesamten Verbräuche (Heizung, Warmwasser, Verluste, Haushalts- und Technikstrom) ergibt mit 113,2 kWh/(m²a) eine Unterschreitung des Passivhausgrenzwertes von 120 kWh/(m²a). Damit kann gezeigt werden, dass die „theoretischen“, hohen Anforderungen an ein Passivhaus auch in der Praxis umgesetzt und eingehalten werden können. Nur die gesamten End- bzw. Primärenergieverbräuche können Auskunft über das Resultat der Gebäudeperformance geben.
Beim Ändern der Bezugsgröße „Fläche“ zu „Person“ ergibt sich erwartungsgemäß eine Verschiebung beim Ranking zugunsten der dichter belegten Projekte.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass ganz unterschiedliche Haustechnik zu ähnlich guten Ergebnissen führt. Dabei ist die richtige und sorgfältige Detailplanung sowie Ausführung letztendlich entscheidend – diese ist wichtiger als der Unterschied in der Wahl der Systeme. Alle Systemanbieter sind daher gut beraten, wenn sie sich auf die Verbesserung der praktischen Performance ihrer Systeme konzentrieren, insbesondere auf eine handwerkerfreundliche Installation. Systembedingte Vorteile, wie sie oft pauschal von den Anbietern behauptet werden, konnte diese Untersuchung jedenfalls nicht belegen: Gute Ergebnisse wurden sowohl auf der Basis des Energieträgers Erdgas (Kranichstein), als auch mit Fernwärme (Wiesbaden, Kronsberg) als auch mit Kompaktgeräten (Neuenburg, Feuerbach) erzielt.
Erst dieser, im Vergleich zu konventionellen Gebäuden, extrem niedriger Verbrauch ermöglichen den sinnvollen Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen und damit einen entscheidenden Beitrag zum nachhaltigen Klimaschutz.
Literatur
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