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grundlagen:energiewirtschaft_und_oekologie:graue_energie_und_passivhaus-standard

Lebenszyklusbewertung und Passivhaus-Standard

Hat sich an den Erkenntnissen inzwischen etwas geändert?
Hier gibt es eine Zusammenfassung zum Thema Lebenszyklusbilanzen - Stand 2024.467)

Der kumulierte Primärenergieaufwand KEA

Ein vollständiger Vergleich muss über den gesamten Lebenszyklus erfolgen. In der zitierten Publikation wurde der kumulierte Primärenergieaufwand (KEA) über eine Nutzungsdauer von 80 Jahren für verschiedene Gebäudestandards verglichen (Abb.1). Geheizt wird für diesen Vergleich jeweils mit einem Erdgas-Brennwertkessel.

  • Für schlecht gedämmte Gebäude (deutsche Wärmeschutzverordnung 1984) beträgt der Herstellungsenergieaufwand (HEA) im Vergleich zum Verbrauch an Erdgas und Primärenergie für den Haushaltsstrom nur ca. 5%.
  • Bereits beim Niedrigenergiehaus liegen die Bedeutung von Strom- und Erdgasverbrauch in der Nutzungszeit mit je 45% etwa gleich auf. Fortschritte können nun vor allem durch effiziente Nutzung von Strom erzielt werden.
  • Beim Standard des Passivhauses wird durch sehr guten Wärmeschutz der Heizenergieverbrauch so gering, dass auf ein separates Heizsystem verzichtet werden kann. Der Herstellungsenergieaufwand von neuen Passivhäusern kann dabei sogar geringer sein als der von gewöhnlichen Neubauten.
  • Bedingt durch den hohen Herstellungs- und Erneuerungs-Primärenergieaufwand (E-HEA) für aufwendige technische Systeme ist der kumulierte Energieaufwand für Energieautarke Häuser allerdings wieder höher als für ein Passivhaus [Röhm 1993] .


Abb. 1: kumulierter Primärenergieaufwand im Vergleich
(Basis: Das erste Passivhaus in Darmstadt-Kranichstein ) [Feist 1997] ;
Materialdaten nach [Kohler 1995] und [SIA 0123] .
Die Basisdaten für den Verbrauch an Strom und Gas sind beim Passivhaus
Messwerte (vgl. Primärenergie - ein Maßstab für den Umweltschutz)
KEA = Kumulierter-Energie-Aufwand;
E-HEA = Erneuerungs-Herstellungs-Energie-Aufwand;
HEA = Herstellungs-Energie-Aufwand


Zeitverlauf

In Abb.2 ist der Zeitverlauf des kumulierten Primärenergieaufwandes (KEA) für 3 Varianten über einen Nutzungszeitraum von 80a dargestellt.

  • Die „Startpunkte“ der Varianten zur WSchVO (HEA 1171 kWh/m²), Niedrigenergiehaus (1220 kWh/m²) und zum realisierten Passivhaus (1391 kWh/m²) liegen sehr eng zusammen.
  • Bereits nach 2 Jahren liegt der kumulierte Energieaufwand des Referenzhauses über dem Niedrigenergiehaus und jenes über dem Passivhaus.
  • Anschließend entwickeln sich die Primärenergieeinsätze im Wesentlichen proportional zum unterschiedlichen Verbrauch in der Nutzungsphase auseinander; erkennbar sind aber auch die Erneuerungsaufwendungen für Sonnenkollektoren und Lüftungssysteme im Passivhaus (Sprünge alle 20 a bzw. alle 30a)468).
  • Deutlich ist erkennbar, dass der ökologische Gewinn beim Übergang vom Niedrigenergiehaus zum Passivhaus viel größer ist als beim Übergang vom Haus nach Wärmeschutzverordnung zum Niedrigenergiehaus.


Abb. 2: Zeitentwicklung des kumulierten Primärenergieaufwandes
über die Nutzungszeit von 80 a beim Referenzhaus nach WschVO ´84,
Niedrigenergiehaus und Passivhaus [Feist 1997]


Graue Energie... Wie sinnvoll ist die Superdämmung?

Wie sich der Herstellungsenergieaufwand ändert, wenn ausschließlich die Dämmdicke variiert wird (übrige Daten: wie Passivhaus), zeigt
Abb. 3.

  • Interessanterweise sinkt der HEA zunächst bis Dämmdicken um 5 cm, obwohl der Dämmstoff Herstellungsenergie erfordert: Die Ursache liegt in der Verkleinerung der Heizflächen (Stahl) durch verringerte maximale Heizlast.
  • Bei einer Dämmdicke von ca. 23 cm wird bei diesem Haus schließlich der Passivhausstandard erreicht: Nun können das Wärmeverteilsystem und die restlichen Heizkörper entfallen, wodurch sich der Sprung in der Kurve ergibt.

Bitte beachten: Bei diesem Diagramm ist der Nullpunkt unterdrückt! Die ausgewiesenen 44 kWh/m² sind gerade 3,5% der gesamten Herstellungs-Primärenergie.

Zum Vergleich: Eine Dämmung mit der Dicke
zum Passivhausniveau (rechts) spart gegenüber
dem Ausgangswert (6 cm, links) je Jahr
59 kWh/(m²a) an Heizwärme ein.

⇒ Der Energieverbrauch für die „Mehrdämmung“
wird bereits in weniger als einem Jahr Heizbetrieb
wieder eingespart.
Abb. 3: Herstellungs(primär)energieaufwand abhängig von der Dämmdicke bei einem Passivhaus


Die Betrachtung des HEA allein ist jedoch irreführend: In Abb.4 ist der kumulierte-Energie-Aufwand über 80a KEA(80) in Abhängigkeit von der Dämmstoffdicke für das Passivhaus abgetragen. Hier wird deutlich, dass über den gesamten Bereich die Primärenergieauf-
wendungen während der Nutzungsphase dominieren und dass diese durch dickere Dämmung beträchtlich absinken (erst bei Dicken über 105 cm (!) würde der Herstellungsaufwand des letzten cm die von ihm erzielte Einsparung übersteigen).

Abb. 4 Kumulierter-Energie-Aufwand (80a) für ein Passivhaus,
abhängig von der Dämmdicke


Fazit

Das Passivhaus ist ein erprobter und heute baupraktisch leicht umsetzbarer Baustandard. Es führt zu beträchtlichen Betriebskosten-
einsparungen und zu gesicherten Energieeinsparungen in der Nutzungsphase. Der erforderliche Herstellungs-Energie-Mehraufwand, obwohl vorhanden, ist im Vergleich zu den im Lebenszyklus erzielten Einsparungen gering; dies wurde in einer unabhängigen Kontrollrechnung von anderen Autoren bestätigt [Mossmann, Kohler 2005] .

Sowohl der Primärenergieaufwand für den Stromeinsatz während der Nutzungsphase als auch die Graue Energie in den Baumaterialen gewinnen aber bei energieeffizientem Bauen an Bedeutung. Hier können sowohl durch weitere Effizienzsteigerungen bei der Baustoffherstellung als auch durch effizienten Materialeinsatz weitere Fortschritte erzielt werden; diese dürfen aber nicht auf Kosten wieder steigender Betriebsenergie gehen, denn letztere überwiegt immer noch.

Die planerische Optimierung von Passivhäusern erfolgt zweckmäßigerweise mit dem Passivhaus Projektierungs Paket (PHPP), das ein umfassendes Tool zur Bestimmung von Gebäude-Energiebilanzen ist.

Der Aufwand, ein Gebäude vollständig energieautark zu machen, ist dagegen sehr hoch - sowohl ökonomisch als auch ökologisch gesehen. Sinnvoll ist es hingegen, alle Möglichkeiten zu nutzen, von den Außenflächen des Gebäudes (vor allem der Dächer) solare Energie zu gewinnen. Dabei ist aber weiterhin eine Kopplung an das Stromnetz sinnvoll, denn tagsüber im Sommer wird mit solchen Anlagen deutlich mehr Strom erzeugt, als im Haushalt benötigt wird - andere Nutzer können damit jedoch über das Netz versorgt werden. Diese Konzepte liegen dem Passivhaus-Plus und dem Passivhaus-Premium zugrunde. (vgl. Passivhaus Plus )

Hinweise

  1. Diese Internet-Kurzfassung ist aus der Schrift „Lebenszyklusbilanzen im Vergleich: Niedrigenergiehaus, Passivhaus, Energieautarkes Haus“ zusammengefasst worden. Die Langfassung ist im Protokollband 8 des Arbeitskreises kostengünstige Passivhäuser enthalten. Eine englische Übersetzung kann hier als pdf heruntergeladen werden: Life Cycle Passive House
  2. Die Daten haben sich gegenüber der Erstellung der ursprünglichen Studie nicht nennenswert geändert469), die Messdaten aus dem herangezogenen Passivhaus sind stabil, aber auch die spezifischen Herstellungs-Primärenergie-Werte für Baumaterialien sind nach neuesten, heute leichter zugänglichen Datenbanken, nicht deutlich verändert. Das könnte sich künftig wenden, zumal Energie jetzt sehr viel teurer ist als vor 10 Jahren und sich effizientere Produktionsverfahren nun rentieren. In den Sitzungen AK58 und AK60 des Arbeitskreises haben wir 2022 eine aktuelle Aufarbeitung zu den Fragen der Bilanz aus Herstellung und Betriebs-Emissionen, auch für die CO2-äquivalente, vorgenommen. Dabei wurde auch der Entwicklungsstand bzgl. Heizungstechnologien und erneuerbarer Energieerzeugung aktualisiert. Die entscheidenden Schlussfolgerungen decken sich demnach auch heute (2024) mit den hier gemachten Aussagen: Klimagas-Emissionen im Lebenszyklus.
  3. Wenn in der Literatur z.T. Aussagen zu finden sind, die den Ergebnissen dieser Arbeit zu widersprechen scheinen, sollte für einen korrekten Vergleich auf folgende Punkte geachtet werden:
» Wurde der Verbrauch in der Nutzungsphase (der ist auch heute noch dominant) überhaupt berücksichtigt?470)

» Welcher Ansatz für die Dauer des Lebenszyklus wurde gewählt?471)

» Wurde der Erneuerungsenergieaufwand einbezogen?472)

» Mit welchen Annahmen für die Rohdichte der Dämmmaterialien und mit welchem Dämmstoff und welcher Nutzungsdauer wurde gerechnet?473)

» Recht oft wird der extrem geringe restliche Verbrauch eines energieeffizienten Gebäudes mit dem Einsatz an grauer Energie verglichen - entscheidend ist aber die Bilanz der Einsparung über die Nutzungszeit mit der Investition für die Einsparung474).


Siehe auch

Literatur

[Feist 1997] Feist, Wolfgang: Lebenszyklusbilanzen im Vergleich: Niedrigenergiehaus, Passivhaus, Energieautarkes Haus, In: Arbeitskreis Kostengünstige Passivhäuser, Protokollband Nr. 8: “Materialwahl, Ökologie und Raumlufthygiene“, Hrg.: Wolfgang Feist, Passivhaus Institut, Darmstadt, 1997, S. V/1 – V/11.

[Kohler 1995] Kohler, N.: Baustoffdaten, Ökoinventare; ifib Karlsruhe; HAB Weimer; ESU-ETH Zürich; 1995

[Mossmann, Kohler 2005] Mossmann, Cornelia; Kohler, Nikolaus; Jumel, Stéphanie: Lebenszyklusanalyse von Passivhäusern; Im Tagungsband der 9. Passivhaustagung, Ludwigshafen-Darmstadt 2005, S. 333-338

[PHPP 2007] Feist, W.; Kah, O.; Kaufmann, B.; Pfluger, R.; Schnieders, J.: Passivhaus Projektierungs Paket 2007, Passivhaus Institut Darmstadt, 2007.

[Röhm 1993] Röhm, T.: Der Energieaufwand zur Herstellung des Energieautarken Solarhauses Freiburg; Diplomarbeit, Universität Karlsruhe, 1993

[SIA 0123] SIA: Hochbaukonstruktionen nach ökologischen Gesichtspunkten; SIA-Dokumentation 0123; Zürich 1995

467)
Wir haben dabei veränderte Randbedingungen (z.B. eine künftig stärker auf erneuerbarer Energie beruhende Stromerzeugung sowie veränderte Herstellungsmethoden) sowie neue Heizwärmeerzeugungsvarianten untersucht. Die Datenlage bzgl. der mit dem Material verbundenen Aufwendungen hat sich zwischenzeitlich verbessert. Wir diskutieren daher auch die Sensitivität der Aussagen auf derartige Änderungen der Randbedingungen.
468)
Für das Beispielgebäude wurde die Dauerhaftigkeit inzwischen in einem Forschungsprojekt überprüft. Vergleiche: „25 Jahre“. U.a. stellte sich dabei heraus, dass auch die Lüftungskomponente eine deutlich längere Nutzungsdauer aufweist als hier ursprünglich vorsichtig abgeschätzt wurde
469)
Angabe im Jahr 2019
470)
Manchmal wird argumentiert, künftig stünde nachhaltige und kostengünstige Energie nahezu im Überfluss zur Verfügung. Solche Versprechen wurden seit 80 Jahren immer wieder gegeben - und in der Zwischenzeit hat sich Energie im Durschnitt nur verteuert. Das hat tieferliegende Gründe, die sich auch in den nächsten Jahrzehnten nicht umfassend ändern werden. Die Betriebsenergie bleibt daher in allen Fällen bei der Heizung die dominante Größe. Wir diskutieren das in den Protokollbänden zu den Arbeitskreisen 58 und 60.
471)
Oft werden sehr kurze Lebensdauern (z.B. nur 20 Jahre) für Gebäude und Bauteile zugrunde gelegt. Warum das unrealistisch ist, wird in Beiträgen im Protokollband [AK 60] dargestellt.
472)
Einige Komponenten haben tatsächlich kürzere Nutzungsdauern als ein heutiges Gebäude (z.B. ein Heizkessel, eine Wärmepumpe oder ein Solar-Paneel). Zumindest für diese Komponenten muss dann der Erneuerungsaufwand korrekt einbezogen werden.
473)
Hier sind oft Ansätze mit unrealistisch hohen Rohdichten zu finden - die sind überwiegend historisch bedingt.
474)
Sonst wäre z.B. ein „Nullenergiegebäude“ schon allein deswegen keine Option, weil sein Verbrauch eben „Null“ und daher immer deutlich kleiner als welcher Herstellungsaufwand auch immer ist. Derweil ist genau diese Tatsache (Null-Verbrauch) gerade den Maßnahmen am Gebäude geschuldet, die diesen Erfolg erst ermöglichen - deren herstellungsaufwand muss mit den durch die Maßnahmen erfolgten Einsparungen verglichen werden, nicht mit dem Restverbrauch, welcher evtl. im Erfolgsfall sogar Null sein kann.
grundlagen/energiewirtschaft_und_oekologie/graue_energie_und_passivhaus-standard.txt · Zuletzt geändert: 2024/04/18 18:25 von wfeist