Bemerkungen zum Fermi-Paradoxon
Das Paradoxon geht auf den Physiker Enrico Fermi zurück: Expansionswillige Zivilisationen, selbst wenn sie nur mit klassischen Unterlichtgeschwindigkeiten reisen, müssten sich nach dieser Überlegung innerhalb von wenigen 100 Millionen Jahren über eine gesamte Galaxis ausbreiten (Fermi-Paradoxon). Diese Utopie orientiert sich an einer anthropozentrischen Allmachtsphantasie1): Dies allerdings würde nach der verwendeten Logik früher oder später zu massiven Konflikten eben genau der so geschaffenen stellaren Kolonien führen - weil diese viele Lichtjahre voreinander entfernt unabhängig existieren, ist unter solchen Umständen eine einigermaßen kohärente Kulturentwicklung unwahrscheinlich. Wenn der Expansionswille dabei erhalten bleibt (und gerade der ist die primär Grundlage für eine solche Ausbreitungsstrategie), kommen sich die Ableger-Kolonien solcherart aufgebauter interstellarer Expansionswellen selbst ins Gehege. Wegen der dabei zu erwartenden extremen Entfremdung der verschiedenen Ableger bei weiter bestehenden anthropozentrischen Machtkonfigurationen muss dabei mit enormen zerstörerischen Kräften gerechnet werden. Eine klassische interstellare Ausbreitung (ohne schneller-als-Licht-Kommunikation) können nach dieser Analyse nur solche Zivilisationen dauerhaft überleben, die über eine dem angemessen entwickelte Ethik verfügen. Eine solche würde den Schutz von Leben und Lebensentfaltung aller bewusstseinsfähiger Systeme im Zentrum haben. Es ist übrigens interessant, welche Verbindung sich hier zur Diskussion des Tierschutzes ergibt. Aus dieser Diskussion ergibt sich eine ziemlich zwanglose Erklärung des Fermi-Paradoxons: Interstellare Raumfahrt mit nennenswertem materiellen Effekt ist extrem aufwändig und führt für eine Zivilisation nur dann nicht in die Selbstzerstörung, wenn sie mit einer schützenden Ethik verbunden ist; diese verbietet aber mit hoher Wahrscheinlichkeit eine maßlose und unkontrollierte Expansion in einer gesamten Galaxie: Sie würde das Prinzip der Nichteinmischung in Lebensprozesse auf fremden Welten einschließen.
Die Argumentation ist hier nun oft: „Ja, die Zivilisationen mit einer solchen Ethik würden wir dann jetzt (noch) nicht erkennen können. Aber: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es andere gibt, die einen dem unserem ähnelnden Expansionsdrang haben; eine würde dafür ja reichen - und die müssten wir sehen.“ Genau dieser Fall wurde aber eben betrachtet: Sich aggressiv expansiv ausbreitende Zivilisationen mit interstellarer Reisefähigkeit stoppen sich demgemäß mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit selbst aus: Nach allem, was wir derzeit auf dem Planeten Erde beobachten, wohl eher schon bevor die entsprechende Spezies überhaupt faktisch einen Fuß in den interstellaren Raum stellt. Das nämlich ist für unsere Zivilisation vor rund 2070 kaum zu erwarten, selbst bei beschleunigter Technikentwicklung und Konzentration der Ressourcen auf ein solches Ziel2). Meine These: Wenn wir in den Jahrzehnten bis dahin eine nachhaltig verträgliche Ethik nicht gefunden haben und einhalten, werden wir die Anstrengungen für solch ein interstellares Unternehmen gar nicht auf die Reihe bringen.
Der Astrophysiker Neill de Grasse Tyson stellt ähnliche Überlegungen in diesem Kurzvideo dar: (english) "Urge to colonize THAT urgent.".
Zur Ergänzung3) ein Zitat aus dem Buch „A City on Mars“4) von Zach und Kelly Weinersmith, die nach gründlichem Studium der hier andiskutierten Fragen zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen sind:
„…eines Tages können wir, wenn wir genug gelernt haben, den Mars in Besitz nehmen. … Aber wir müssen ihn uns verdienen, indem wir sowohl unser Wissen erweitern als auch indem wir eine verantwortungsvollere, friedlichere Spezies werden. Dadurch, dass wir zu den Sternen fliegen, werden wir nicht <automatisch> weise. Wir müssen weise werden, wenn wir zu den Sternen fliegen wollen.“