Wärmedämmen oder Wärme speichern?
In manchen Papieren (auch solchen im Internet) wird der Einfluss der Wärmespeicherfähigkeit betont. Es wird dort behauptet, dass eine Verbesserung des Wärmeschutzes bei Außenwänden sinnlos oder sogar schädlich sei. Angeblich würde die Wissenschaft die Effekte der Wärmespeicherfähigkeit einer Wand sowie den Wärmegewinn durch Sonneneinstrahlung nicht oder nicht ausreichend berücksichtigen.
Bereits 1987 hat der Autor unter dem gleichen Titel diese Frage systematisch behandelt. Zwischenzeitlich liegen eine Fülle weiterer Erkenntnisse vor: Alle stützen diese Veröffentlichung; die Langform der hier wiedergegebenen Zusammenfassung kann unter folgendem Link bestellt werden: [Feist 2000] Feist, Wolfgang: Ist Wärmespeichern wichtiger als Wärmedämmen? Passivhaus Institut, Darmstadt 2000.
Die wichtigsten Fakten
Der Stand der Forschung zeigt ohne jeden wissenschaftlich1) begründeten Zweifel:
Die Einstrahlung auf Außenwandoberflächen ist ein im Durchschnitt der Heizperiode normalerweise vernachlässigbarer Effekt mit einem nur geringen Energiegewinn, der zudem noch verringert wird durch die Wärmeabstrahlung in den kalten Himmel. Allerdings kann die passive Nutzung von Solarenergie durch Maßnahmen wie eine selektive Beschichtung oder eine lichtdurchlässige (transluzente) Dämmung erheblich erhöht werden.
Diese Tatsachen werden in der Langfassung belegt und genauer erklärt. Wesentliche Ergebnisse sind:
Begriffsbestimmung Speicherung
Als Wärmespeicherfähigkeit oder Wärmekapazität (dies ist der physikalische Fachbegriff) wird das Vermögen eines Materials bezeichnet, Wärmemengen aufzunehmen, wenn die Temperatur erhöht wird. Wir nutzen den Speichereffekt z.B. schon seit langer Zeit bei Wärmflaschen, Warmwasserspeichern oder Speicherheizgeräten. Durch Wärmespeicherung kann grundsätzlich keine zusätzliche Energie gewonnen werden – jede aus einem Speicher entnommene Wärme muss diesem ursprünglich einmal zugeführt worden sein, z.B. beim Erhitzen des Warmwassers für die Wärmflasche.
Selbstentladung
Eine ungedämmte (also nicht unter der gut dämmenden Bettdecke liegende) Wärmflasche gibt ihren Wärmeinhalt innerhalb von kurzer Zeit ab und ist danach eher eine „Kühlflasche“. Erst eine gute Wärmedämmung macht Wärmespeicherung wirklich wirksam – dies gilt in verstärktem Maße auch für das Warmhalten von Gebäuden. Hier ist die durch Speicherung zu überbrückende Zeit nämlich weit länger (mehr als ¼ Jahr) als bei der Wärmflasche (8 Stunden).
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Diese thermographische Aufnahme zeigt links einen ungedämmten Altbau (hinter den Bäumen)
und rechts eine sehr gut nachträglich gedämmte Fassade (20 cm verputzte Wärmedämmung):
→ Linke Seite (bunt): Die ungedämmte Wand leitet die Wärme sehr gut bis zur Außenoberfläche -
diese strahlt Wärme in die Umgebung ab. Dies ist durch die hohe Oberflächentemperatur zwischen
6 und 7 °C erkennbar.
→ Rechte Seite (tiefblau): Die Wärmedämmung verringert den Wärmefluss von innen nach außen
ganz erheblich. Die neue Putzoberfläche hat eine gleichmäßig niedrige Temperatur von unter 4 °C;
diese Temperatur unterscheidet sich kaum von der Temperatur der im Freien stehenden Bäume. Das
zeigt, dass der Wärmeverlust nur extrem gering ist. Der Verlust durch die Fenster ist schon etwas
höher. Und das gekippte Fenster (oben links) beweist, dass das Haus nicht etwa unbeheizt ist2). |
Wärmespeichern und Wärmedämmen gehören zusammen
Beides wird von der Grundgleichung des Wärmetransportes beschrieben. Diese ist in der Physik seit 1822 anerkannt: Damals hat Jean-Baptiste-Joseph de Fourier (Wikipedia Seite) die Wärmeleitungsgleichung (Wikipedia Seite) aufgestellt. Diese Gleichung beschreibt das Wechselspiel von Wärmespeicherung und Wärmeleitung in ortsfesten Materialien.
$ \rho \mathbf{c} \frac{\Large \partial \Large T}{\Large \partial \Large t} = - (\mathbf{div} (- \Lambda\, \mathbf{grad} \,T) $ |
Die Wärmeleitungsgleichung in allgemeiner Formulierung beschreibt die zeitliche Veränderung eines Temperaturfeldes $ T(x,y,z) $ in nicht bewegter Materie (z.B. in einem Festkörper).
Unterschiede in der Temperatur (Gradient $\mathbf{grad}$, ganz rechts auf der rechten Seite) treiben einen Wärmestrom an, der umso größer ist, je höher die betreffende Komponente des Wärmeleitfähigkeitstensors $(\Lambda)$ ist
3) $\overrightarrow {\dot q} = -\Lambda \,\mathbf{grad}\,T $ ist dieser vektorielle Wärmestrom.
Die Fourier-Gleichung hat sich in Physik und Technik durchgehend bewährt. So unterschiedliche Dinge wie der Wärmetransport in Sternen, in Halbleiterbauelementen, Bremsklötzen u.v.a.m lassen sich damit in sehr guter Übereinstimmung mit Messungen berechnen. Auch in der Bauphysik gilt diese Gleichung - und die mit ihr gemachten Berechnungen stimmen mit bauphysikalischen Messungen ebenfalls sehr gut überein.
Heute ist es möglich, solche Differentialgleichungen mit Hilfe von numerischen Programmen z.B. auf verschiedene Wandaufbauten anzuwenden und so eine genaue Darstellung der sich zeitlich ändernden Temperaturverläufe zu bekommen. Das können Programme wie HEAT2 (oder „Therm“ oder HEAT3) sogar in zwei bzw. drei Dimensionen. Die so berechneten Werte stimmen ebenfalls gut mit Messungen überein. Das gilt auch für zeitlich variable Prozesse.
Auch die Simulationsprogramme (z.B. „Dynbil“, „Derob“, „Transys“ u.a.), mit denen die Energieströme in Bauteilen und Gebäuden numerisch berechnet werden, verwenden jeweils numerische Lösungen der oben angeführten vollständigen Fourierschen Wärmeleitungsgleichung – sie berücksichtigen also Wärmespeichereffekte ebenso wie die Wärmeleitung. Mit solchen numerischen Berechnungen wurden drei wichtige Erkenntnisse erzielt:
Für übliche Bauteile in Gebäuden stellt sich heraus, dass der Wärmespeichereffekt sich bereits über den Zeitraum weniger Tage weitgehend herausmittelt (siehe die Erklärung im
nächsten Abschnitt).
Bedeutender sind Wärmeströme über „Umwege“ in den drei Raumdimensionen: Diese sogenannten
Wärmebrückeneffekte können hohe zusätzliche Wärmeverluste zur Folge haben. Sie müssen daher sorgfältig vermieden werden, wenn die Wärmedämmung vollständig wirksam sein soll.
Durch die Simulation gesamter Gebäude mit der vollen Fourierschen Gleichung wurde das Passivhaus als besonders energiesparende Lösung für thermische Behaglichkeit im Winter wie im Sommer entwickelt.
[Feist 1993] .
Stationäre Näherung
Betrachtet man lange Zeiträume, so mittelt sich der Energiezufluss und -abfluss zur Wärmekapazität aus der Energiebilanz heraus, weil ebensoviel Wärme eingespeichert werden muss, wie schließlich wieder verfügbar wird, wenn die Temperaturen am Anfang und am Ende gleich sind.
→ Wie lang sind „lange Zeiträume“? Das hängt vom betrachteten System ab.
Für eine nennenswerte Speicherung „zwischen den Jahreszeiten“ ist ein noch so massives Bauwerk ungeeignet: Bemühungen um Jahresspeicher für Solaranlagen zeigen den hierfür erforderlichen Aufwand an Masse (meist viele Tonnen Wasser) und vor allem die für die Vermeidung von Selbstentladung erforderlichen enormen Dämmlagen (50 cm und mehr hochwertiger Dämmstoff – auch in diesem Fall wird Speichern erst durch Dämmen wirksam. Eine durchaus Erfolg versprechende Methode kann darin bestehen, das Erdreich untern dem Haus zur Speicherung zu verwenden).
Bei üblichen Bauteilen von Gebäudehüllen kann gut mit der stationären Näherung gerechnet werden, wenn es um den Wärmeverlust im Verlauf der gesamten Heizperiode geht. Dann sind nämlich die Temperaturen am Anfang und am Ende ungefähr gleich und die Netto-Speicherbilanz ist Null. Diese Näherung führt auf die allseits bekannten Wärmedurchgangskoeffizienten oder U-Werte (früher: k-Werte). Die Berechnungen unter Verwendung der U-Werte erweisen sich als für Gebäude unterschiedlichster Bauart hinreichend genau. Z.B. verwendet das vereinfachte Verfahren des Passivhaus Projektierungs-Paketes (PHPP) diese Näherung - und die Ergebnisse stehen in guter Übereinstimmung mit Messergebnissen (vgl. die Seite zum Thema PHPP – Das Passivhaus-Projektierungspaket 🌡️).
Theorie und Praxis (Messung)
Wie gut Theorie und Praxis bei der Wärmeleitung übereinstimmen, das zeigen Temperaturverläufe, die im Rahmen des Messprogramms beim Passivhaus Kranichstein aufgezeichnet wurden. Die beiden Grafiken zeigen die Messwerte (farbige Symbole). Die Ergebnisse der Berechnung mit dem Simulationsmodell sind als schwarze Linien dargestellt. Die Übereinstimmung zwischen Messung und Theorie ist so gut, dass Unterschiede erst bei hoher Auflösung erkennbar werden (Lupe); die Abweichungen liegen maximal bei ± 0,2 °C.
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Messwerte der Temperatur im Wandaufbau sind durch farbige
Symbole, berechnete Werte nach der Wärmeleitungsgleichung
durch schwarze Kurven („Theorie“) dargestellt.
⇒ Theorie und Messung stimmen so gut überein, dass die
Abweichungen in diesem Maßstab nicht zu erkennen sind,
sondern erst in der Lupendarstellung. | Vergrößerung aus linkem Diagramm:
Die maximale Abweichung zwischen den berechneten Werten
(schwarze Kurven) und den Messwerten (farbige Symbole)
liegt bei 0,2 °C. Diese Abweichung liegt im Rahmen der
Messgenauigkeit. |
Der Wandaufbau und die Lage der hochgenauen Pt100-Messstellen ist in dieser Anmerkung4) dokumentiert. Die Dämmschicht ist 275 mm dick. Anhand dieser Messergebnisse lassen sich viele weitere Eigenschaften der gedämmten Wand erkennen - eine ausführliche Diskussion findet sich in [Feist 1987] , eine Diskussion in der Seite Wärmedämmung funktioniert.
Dagegen: Die gesamte innen liegende Wärmekapazität hat durchaus einen Einfluss
Was versteht man unter der (effektiven) innen liegenden Wärmekapazität? Das ist die gesamte Wärmekapazität, die über die Innenoberflächen aller an die Raumluft grenzenden Bauteile an den Raum angeschlossen ist. Sie liegt innerhalb der wärmedämmenden Hülle, vergleichbar dem Medium in der gedämmten Thermoskanne. Diese Wärmekapazität wirkt dämpfend auf Temperaturänderungen im Raum, z.B. solchen, die auf Solareinstrahlung durch die Fenster zurückzuführen ist. In der Kernheizzeit ist das ebenfalls eher nachrangig - aber im Sommer, wenn es darum geht, vor allem die Tagesspitzen der Temperaturen zu dämpfen und in der Nacht wieder eine Kühlmöglichkeit besteht, ist eine innen liegende Wärmekapazität vorteilhaft. Und auch im Sommer ist eine gute Wärmedämmung, die in diesem Fall das Eindringen von Hitze in die Räume reduziert, hilfreich.
Fazit und Beispiele
Auf die Wärmedämmung kommt es an - nicht auf die Wärmekapazität. Das ist nicht nur bei Gebäuden so, sondern bei vielen Situationen des täglichen Lebens:
Wollen wir Tee oder Kaffee heiß halten, so verwenden wir eine Mütze für die Kanne oder eine Thermoskanne - die Alternative zur Dämmung liegt nicht in der Speicherung, sondern in einem ständigen Energieaufwand zur Nachheizung (Teelicht oder Warmhalteplatte).
Die Schlafstätte schützen wir im kalten Schlafzimmer durch eine („warme“) Daunendecke. Natürlich ist die Decke selbst nicht „warm“, sie ist nur sehr gut wärmedämmend, so dass der menschliche Körper weniger Wärme verliert.
Der beste Beleg für die Funktion einer sehr guten Wärmedämmung sind die Passivhäuser selbst. Ein Passivhaus bleibt im Herbst sehr lange warm, weil es durch die gute Wärmedämmung und die Wärmerückgewinnung nur sehr wenig Wärme verliert. Auch wenn schließlich im Kernwinter doch nachgeheizt werden muss, ist die dann erforderliche Heizleistung extrem gering. Dass dies tatsächlich so funktioniert, wie es nach den Gesetzen der Bauphysik zu erwarten ist, das zeigen Tausende gebaute Beispiele. Gute Wärmedämmung von Gebäuden hat sich ganz hervorragend bewährt. Jeder kann sich davon selbst überzeugen - z.B. auf der Exkursion während der Passivhaustagung oder am Tag des Passivhauses. Am Tag des Passivhauses öffnen Bewohner die Türen ihrer Passivhäuser, um Besuchern die Erfahrung „Passivhaus“ aus eigener Wahrnehmung zu ermöglichen.
Wissenschaftliche Zusammenhänge kann jeder selbst überprüfen - es bedarf dazu nicht der Autorität irgendwelcher Gurus. Das ist übrigens der wichtigste Anspruch, der an seriöse wissenschaftliche Arbeit gestellt wird: Sie muss überprüfbar sein. Auch die Prüfung muss sich an diesen Anspruch halten - Randbedingungen müssen dokumentiert, Messungen mit der erforderlichen Genauigkeit durchgeführt werden (mit einem herkömmlichen Zimmerthermometer kann man Temperaturen bestenfalls auf 1 bis 2 °C genau messen; es gibt aber inzwischen sehr viel genauere elektronische Temperatursensoren am Markt. Wichtig ist dann insbesondere deren korrekte Anbringung; eben z.B. nicht auf dem sonnenbeschienenen Fußboden, es sei denn, genau der Effekt der Solarabsorption soll untersucht werden). Physikalische Zusammenhänge muss man nicht glauben - man kann sie selbst überprüfen.
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Lernen durch Praktizieren und Handeln
Das hier behandelte Thema ist übrigens sehr gut für den Projektunterricht an Schulen geeignet. Sowohl in der Mittelstufe als auch in der Oberstufe lassen sich daran ein grundlegendes physikalisches Verständnis, die Unterschiede zwischen extensiven Größen (wie Wärmeinhalt / Innere Energie) und intensiven Größen (Temperatur) sowie der 1. Hauptsatz der Thermodynamik (Energiesatz) erarbeiten. Kleine Modelle (Kasten aus Dämmstoff für ein Gefäß mit warmem Wasser) sind schnell hergestellt und erlauben den Schülern eine selbständige Überprüfung der Zusammenhänge - dabei besteht ein enger Bezug zur täglichen Erfahrungswelt. Denn, Folgendes sagte Albert Einstein zum Thema Lernen und Schule: „Persönlichkeiten aber formen sich nicht durch das, was sie hören und sagen, sondern durch Arbeit und Handeln.“
Eine gute praktische Illustration der hier beschriebenen Zusammenhänge ist auch mit den "Eisblockwetten" verbunden. In einem Block mit gefrorenem Wasser ist eine Menge Wärme gebunden (eigentlich „fehlender“ Wärme, im Volksmund „Kälte“ ). Durch eine schlecht gedämmte Hütte dringt Wärme schnell ein und lässt das Eis schmelzen. In einer sehr gut gedämmten Vergleichshütte dringt nur viel weniger Wärme ein und es bleibt eine Menge Eis übrig. Dieses Experiment verdeutlich zugleich auch sehr gut, dass „Wärmedämmung nicht wärmt“ (und auch nicht „kühlt“). Ihre Funktion ist allein, den (störenden) Wärmestrom aus einer zu warmen oder in eine zu kalte Umgebung zu verringern. In besonders günstigen Fällen muss dann kaum noch nachgeheizt oder -gekühlt werden, weil die freien inneren Quellen bereits ausreichen, das Temperaturniveau bei sehr kleinen Wärmeverlusten aufrechtzuerhalten.
Siehe auch
Vorhergehende Abschnitte
Literatur
[Feist 1987] Ist Wärmespeichern wichtiger als Wärmedämmen? 1. Auflage, IWU 1987; 2. Auflage, Passivhaus Institut, 2000 Link zur PHI Publikation
[Feist 1993] Passivhäuser in Mitteleuropa; Dissertation, Universität Kassel, 1993
[AkkP 5] Energiebilanz und Temperaturverhalten; Protokollband Nr. 5 des Arbeitskreises kostengünstige Passivhäuser, 1. Auflage, Passivhaus Institut, Darmstadt 1997 (Link zum PHI-Artikel)