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grundlagen:bauphysikalische_grundlagen:thermische_behaglichkeit:komfortbaender_fuer_die_behaglichkeit

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grundlagen:bauphysikalische_grundlagen:thermische_behaglichkeit:komfortbaender_fuer_die_behaglichkeit [2022/11/11 11:59] – [Komfortbänder für die Behaglichkeit] wfeistgrundlagen:bauphysikalische_grundlagen:thermische_behaglichkeit:komfortbaender_fuer_die_behaglichkeit [2023/06/19 17:10] (aktuell) – [Literatur] wfeist
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 ====Wo liegen die Grenzen?==== ====Wo liegen die Grenzen?====
  
-Es stellt sich heraus, dass die mittlere Bewertung PMV = +1 gerade bei einer Überschreitung der vom Organismus abzugebenden Wärme gegenüber dem Gleichgewichtswärmestrom an die Umgebung von etwa 25% abgegeben wird; diesem Votum entspricht (unter ansonsten gleichen Randbedingungen) in etwa einer Abweichung der operativen Temperatur von 3,6 K und ist mit einer Unzufriedenheitsrate (ppd 'percentage persons dissatisfied') von 25% verbunden. Eine so hohe Unzufriedenheit würde übrigens in den meisten Fällen nicht mehr toleriert werden.+Es stellt sich heraus, dass die mittlere Bewertung PMV = +1 geäußert wird, wenn die Überschreitung der vom Organismus produzierten Wärme gegenüber dem Gleichgewichtswärmestrom an die Umgebung etwa 25% beträgt; diesem Votum entspricht (unter ansonsten gleichen Randbedingungen) in etwa einer Abweichung der operativen Temperatur von +3,6 K und ist mit einer Unzufriedenheitsrate (ppd 'percentage persons dissatisfied') von 25% verbunden. Eine so hohe Unzufriedenheit würde übrigens in den meisten Fällen nicht mehr toleriert werden((da haben die "Verantwortlichen" dann mit Ärger zu rechnen)).
  
 Die neutrale Bewertung (PMV = 0) entspricht exakt dem Gleichgewicht und damit der optimal möglichen Behaglichkeit; allerdings verbleiben auch dann immer noch mindestens 5% Unzufriedene((Dass es immer Unzufriedene gibt, überrascht nur auf den ersten Blick: Einmal sind die individuellen Gewohnheiten tatsächlich unterschiedlich. Zum anderen ist uns auch aus anderen Bereichen durchaus geläufig, dass ein Teil der Menschen "immer" unzufrieden ist - nur in Unterdrückungs-Regimen gehen Wahlen mit z.B. 98% "Ja-Stimmen" aus.)). Die neutrale Bewertung (PMV = 0) entspricht exakt dem Gleichgewicht und damit der optimal möglichen Behaglichkeit; allerdings verbleiben auch dann immer noch mindestens 5% Unzufriedene((Dass es immer Unzufriedene gibt, überrascht nur auf den ersten Blick: Einmal sind die individuellen Gewohnheiten tatsächlich unterschiedlich. Zum anderen ist uns auch aus anderen Bereichen durchaus geläufig, dass ein Teil der Menschen "immer" unzufrieden ist - nur in Unterdrückungs-Regimen gehen Wahlen mit z.B. 98% "Ja-Stimmen" aus.)).
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 Sowie **„Komfortklasse C“** mit PMV=0,5 (entsprechend **maximal 1,82 K** Abweichung) und ppd=10%. Das ist die heute üblicherweise z.B. bei einem von Fachleuten begutachteten Rechtsstreit gültige Grenze, wenn zwischen Planer und Baufamilie nicht etwas anderes explizit vereinbart wurde.  Sowie **„Komfortklasse C“** mit PMV=0,5 (entsprechend **maximal 1,82 K** Abweichung) und ppd=10%. Das ist die heute üblicherweise z.B. bei einem von Fachleuten begutachteten Rechtsstreit gültige Grenze, wenn zwischen Planer und Baufamilie nicht etwas anderes explizit vereinbart wurde. 
  
-Für die Analyse der Behaglichkeit in einem Wohngebäude gehen wir hier davon aus, dass Personen überwiegend sitzende Tätigkeiten ausführen((abgesehen von der Nachtruhe, die gesondert behandelt werden muss, da die Behaglichkeit dabei im Wesentlichen von der Ausstattung der Schlafstätte abhängt [AkkP 25])): Dafür ist der Ansatz gemäß Fanger und der Norm ein Metabolismus von M=1,2 met (entsprechend ca. 70 W/m² Körperoberfläche)). +Für die Analyse der Behaglichkeit in einem Wohngebäude gehen wir hier davon aus, dass Personen überwiegend sitzende Tätigkeiten ausführen((abgesehen von der Nachtruhe, die gesondert behandelt werden muss, da die Behaglichkeit dabei im Wesentlichen von der Ausstattung der Schlafstätte abhängt [AkkP 25])): Dafür ist der Ansatz gemäß Fanger und der Norm ein Metabolismus von M=1,2 met ((entsprechend ca. 70 W/m² Körperoberfläche)). 
  
-Der zweite individuelle Einfluss ist durch die Kleidung gegeben. Diese entspricht in der Regel den gesellschaftlichen Konventionen der jeweiligen Kultur und Zeit – die Bereitschaft, Kleidung gemäß der Witterung zu ändern hat in den vergangenen Jahrzehnten auf Grund der immer besseren Beheizung und Kühlung sowohl im privaten (jeder Neuwagen ist heute klimatisiert) als auch im öffentlichen Raum (öffentliche Verkehrsmittel werden heute überwiegend klimatisiert) abgenommen. Es gibt noch einen gewissen Unterschied zwischen typischer Winter- und Sommerkleidung: Wir dokumentieren die hier getroffenen Annahmen dazu in Tabelle 2. Durch höhere Bereitschaft der Anpassung von Kleidung könnten die Parameter zur Behaglichkeit spürbar mehr an die jeweiligen Jahreszeiten angepasst werden – das setzt aber eine gesellschaftliche Akzeptanz voraus ((z.B. Tragen von Shorts auch für männliche Personen im Sommer – hier wurde immer noch von langen, wenn auch leichten Hosen ausgegangen)). \\ +Der zweite individuelle Einfluss ist durch die Kleidung gegeben. Diese entspricht in der Regel den gesellschaftlichen Konventionen der jeweiligen Kultur und Zeit – die Bereitschaft, Kleidung gemäß der Witterung zu ändern hat in den vergangenen Jahrzehnten auf Grund der immer besseren Beheizung und Kühlung sowohl im privaten (jeder Neuwagen ist heute klimatisiert) als auch im öffentlichen Raum (öffentliche Verkehrsmittel werden heute überwiegend klimatisiert) abgenommen. Es gibt noch einen gewissen Unterschied zwischen typischer Winter- und Sommerkleidung: Wir dokumentieren die für unsere Diskussion getroffenen Ansätze dazu in Tabelle 2. Durch höhere Bereitschaft der Anpassung von Kleidung könnten die Parameter zur Behaglichkeit spürbar mehr an die jeweiligen Jahreszeiten angepasst werden – das setzt aber eine gesellschaftliche Akzeptanz voraus ((z.B. Tragen von Shorts auch für männliche Personen im Sommer – hier wurde immer noch von langen, wenn auch leichten Hosen ausgegangen)). \\ 
  
 **//Tabelle 2 Angepasste Kleidung für Winter/Übergangs- und Sommerperiode//**  **//Tabelle 2 Angepasste Kleidung für Winter/Übergangs- und Sommerperiode//** 
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 |Sommer | 0,62 | Socken, kein Unterhemd, leichte Hose, kurzärmeliges leichtes Hemd |  |Sommer | 0,62 | Socken, kein Unterhemd, leichte Hose, kurzärmeliges leichtes Hemd | 
  
-Einige Parameter in der Fanger‘schen Komfortgleichung lassen sich in modernen Wohnungen auf der Basis anderer Anforderungen bestimmen: Z.B. die relative Feuchte((und damit der Wasserdampf-Partialdruck im Raum)) auf Basis hygienischer Grenzen (kleiner als 65% wg. Sicherheit bzgl. Schimmel) und physiologischer Optima (Schleimhäute: größer als 35%); der Einfluss ist andererseits in diesem Intervall und bei den hier in Betracht kommenden Temperaturen nicht hoch, wir haben daher mit 40% gerechnet. Die Luftgeschwindigkeit v muss definitiv unter den steil ansteigenden Grenzen der Zugempfindung gehalten werden: In einem vernünftige gedämmten Gebäude((Passivhaus oder EnerPHit)) ist das leicht möglich, v=0,05 m/s liegt bei 0% Zugluftrisiko unter allen bei traditionellen Gebäuden gegebenen Randbedingungen und dieser Wert ist im Aufenthaltsbereich eines EnerPHit-Gebäudes((außer wenn etwas anderes gewollt ist, wie z.B. bei ausgiebiger Nachtlüftung durch den Nutzer)) einhaltbar. +Einige Parameter in der Fanger‘schen Komfortgleichung lassen sich in modernen Wohnungen auf der Basis anderer Anforderungen bestimmen: Z.B. die relative Feuchte((und damit der Wasserdampf-Partialdruck im Raum)) auf Basis hygienischer Grenzen (kleiner als 65% wg. Sicherheit bzgl. Schimmel) und physiologischer Optima (Schleimhäute((sollen nicht austrocknen; vgl. [Pfluger 2012])): größer((im Mittel über ca. 4 h; Einzelwerte dürfen über einige Minuten durchaus auch einmal sehr gering sein, wenn es danach wieder feuchter wird)) als 35%); der Einfluss ist andererseits in diesem Intervall und bei den hier in Betracht kommenden Temperaturen nicht hoch, wir haben daher mit 40% gerechnet. Die Luftgeschwindigkeit v muss definitiv unter den steil ansteigenden Grenzen der Zugempfindung gehalten werden: In einem vernünftige gedämmten Gebäude((Passivhaus oder EnerPHit)) ist das leicht möglich, v=0,05 m/s liegt bei 0% Zugluftrisiko unter allen bei traditionellen Gebäuden gegebenen Randbedingungen und dieser Wert ist im Aufenthaltsbereich eines EnerPHit-Gebäudes((außer wenn etwas anderes gewollt ist, wie z.B. bei ausgiebiger Nachtlüftung durch den Nutzer)) einhaltbar. 
  
 Zudem kann im EnerPHit-Gebäude davon ausgegangen werden, dass Strahlungstemperatur und Lufttemperatur sich nur sehr wenig unterscheiden. Diese Tatsache wurde im Passivhaus regelmäßig durch Messungen bestätigt – eine Ausnahme bilden auch hier Zeiträume mit vom Nutzer gewünschten extensiven Nachtlüftungen. Zudem kann im EnerPHit-Gebäude davon ausgegangen werden, dass Strahlungstemperatur und Lufttemperatur sich nur sehr wenig unterscheiden. Diese Tatsache wurde im Passivhaus regelmäßig durch Messungen bestätigt – eine Ausnahme bilden auch hier Zeiträume mit vom Nutzer gewünschten extensiven Nachtlüftungen.
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 | **//Abbildung 3 Komfortbänder der thermischen Behaglichkeit für die Jahreszeiten (Mitteleuropa, jeweils der Jahreszeit entsprechend gekleidete Personen, Bekleidungskennwert (in cloth) im Diagramm angegeben). Für den Heizbetrieb wurde das A-Band hervorgehoben (höchste Komfortklasse), für die Übergangszeit und den Sommerbetrieb das C-Band (allgemein geforderte Komfortklasse). Der hellgrüne Bereich steht für das Optimum (Klasse A).//** | | **//Abbildung 3 Komfortbänder der thermischen Behaglichkeit für die Jahreszeiten (Mitteleuropa, jeweils der Jahreszeit entsprechend gekleidete Personen, Bekleidungskennwert (in cloth) im Diagramm angegeben). Für den Heizbetrieb wurde das A-Band hervorgehoben (höchste Komfortklasse), für die Übergangszeit und den Sommerbetrieb das C-Band (allgemein geforderte Komfortklasse). Der hellgrüne Bereich steht für das Optimum (Klasse A).//** |
  
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 +**Diskussion:** Bei den heute (2015-2021) üblichen Kleidungsgewohnheiten sind im Winter //operative// Temperaturen von etwas über 20°C bis hin zu 22,5 °C im Komfortbereich(("//operative//" haben wir hier nochmals hervorgehoben, weil insbesondere in Altbauten oft die Temperaturen der Raumumfassungs-Oberflächen deutlich niedriger sind als die Raumlufttemperaturen. Um für den Ausgleich der dadurch geringeren Strahlungstemperatur zu sorgen, muss die Raumlufttemperatur dann entsprechend höher sein (z.B. in typischen Fällen 22°C).)). Mit wärmerer Kleidung sind auch geringere Werte möglich und durch z.B. Ausziehen einer Weste oder Aufkrempeln von Ärmeln lassen sich auch höhere Temperaturen ausgleichen.\\ \\  
 +In den Übergangsjahreszeiten ist das Spektrum breiter und eher um 22,6 °C herum platziert. Auch da kann natürlich über die dargestellten Grenzen hinaus durch eine gewisse Anpassung der Kleidung reagiert werden. Weil der Anteil der zugeführten Heizwärme (oder der Kühlung) unter diesen Bedingungen meist nur gering ist, sind in diesen Zeiträumen die Unterschiede zwischen Luft- und Strahlungstemperatur meist nicht groß; die dargestellten Werte können nun auch als Werte der Lufttemperatur interpretiert werden. Energieeffiziente Gebäude, insbesondere Passivhäuser, müssen in diesen Übergangszeiten in aller Regel gar nicht aktiv geheizt und gekühlt werden. Verbleibende Regelaufgaben können dann z.B. durch Öffnen und Schließen von Fenstern oder Bedienung von Verschattungseinrichtungen erledigt werden, ohne dass die aktive Heizung oder Kühlung in Betrieb genommen werden muss.\\ \\  
 +Im Sommer kleiden wir uns wegen der warmen Bedingungen im Außenbereich leichter als sonst. Daher können/müssen dann auch die Raumtemperaturen höher sein. Um 24 °C liegt die optimale operative Temperatur und je ein Grad mehr oder weniger sind immer noch im guten Bereich. Auch hier können, vor allem beim Einsatz raumluftbetriebenen Klimageräte, Strahlungs- und Lufttemperaturen voneinander abweichen; das ist einer der Gründe, warum für die Lufttemperatur in klimatisierten Räumen gar nicht selten ziemlich niedrige Werte eingestellt und gemessen werden - die Oberflächentemperaturen sind nämlich unter diesen Umständen meist höher((Die operative Temperatur lässt sich übrigens durch ein sog. 'Globe-Thermometer' auch direkt messen und zur Regelung verwenden. Besonders hochwertige Regelungen von Heiz- und Klimaanlagen machen das so)). 
  
 +=====Literatur=====
 +[Fanger 1970] Fanger, P Ole. Thermal Comfort: Analysis and applications in environmental engineering. McGraw-Hill. Syracuse University 1970
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 +[Pfluger 2012] Pfluger, Rainer et al: **Physiological impairments of individuals at low indoor air humidity** {{https://passipedia.org/_media/picopen/low_humidity.pdf|englische Originalpublikation}}
grundlagen/bauphysikalische_grundlagen/thermische_behaglichkeit/komfortbaender_fuer_die_behaglichkeit.1668164381.txt.gz · Zuletzt geändert: 2022/11/11 11:59 von wfeist