Gibt es passiv gewonnene Sonnenenergie, die durch ein undurchsichtiges Bauteil verfügbar gemacht wird?
Die spontane Antwort „wie soll denn das gehen?“ kann mit nur kurzem Nachdenken korrigiert werden: Nehmen wir z.B. ein außenseitig dunkel beschichtetes Metallblech, das einen Raum zur Außenluft abgrenzt. Wenn die Außenoberfläche besonnt ist, wird die solare Einstrahlung dort zumindest zum Teil absorbiert: Es ist unmittelbar klar, dass diese Energiezufuhr an der Außenoberfläche zu einer Erwärmung dieser Fläche führt. Die zugeführte Wärme, wir nennen sie $q_0$, den Brutto-Solar-Eintrag, fließt natürlich von der Oberfläche wieder ab - einerseits wieder direkt nach außen, andererseits aber auch nach innen in das Blech. Wäre der Wärmeübergangswiderstand nach außen „Null“, so würde sich die äußere Oberflächentemperatur trotz der Einstrahlung immer noch auf die Umgebungstemperatur einstellen und die eingestrahlte Wärme über diesen thermischen Kurzschluss vollständig nach außen verschwinden. Der äußere Wärmedurchlasswiderstand $R_A$ ist aber nicht Null - daher braucht es eine gewisse Temperaturdifferenz, um den Wärmestrom nach außen durch $R_A$ hindurchzutreiben: Die Temperatur $\vartheta$ an der Stelle des Brutto-Solar-Eintrages ist daher gegenüber der ohne den Eintrag erhöht. Das aber bedeutet, dass auch der Wärmestrom von innen her verringert wird. Diese Verringerung des Wärmestroms ist die Netto-Wirkung des außen auftreffenden Brutto-Solar-Eintrages: In der Tat, das ist nutzbar gemachte passiv solare Energie! Im folgenden Abschnitt werden wir diesen Effekt quantifizieren - das geht überraschend einfach, wobei wir die Situation gleich etwas verallgemeinern, weil es ähnliche Vorgänge mit einer Wärmezufuhr innerhalb von Bauteilen auch unter anderen Umständen gibt1).
Wie in der Abbildung geben wir eine ebene Konstruktion mit einer flächigen Wärmequelle mit homogener Wärmstromdichte $q_0$ vor. Auf der einen Seite herrscht die konstante („Außen-“)Temperatur $\vartheta_A$, auf der anderen eine konstant gehaltene Innentemperatur $\vartheta_B$; das kann z.B. ein geheizter Raum oder auch ein Kühlraum sein. Wie verteilt sich jetzt die zusätzlich zugeführte Leistung auf die beiden Seiten?
Zur Lösung betrachten wir das „Ersatzschaltbild“: Im Knoten der Wärmezufuhr nennen wir die Temperatur $\vartheta$, den gesamten Wärmestrom vom $\vartheta$-Knoten nach A nennen wir $q_A$, den von innen zum $\vartheta$-Knoten $q_B$. Aus der Knotengleichung für $\vartheta$ („Wärmestrombilanz“) und den „Ohm‘schen Gesetzen“ für $R_A$ und $R_B$ ergeben sich die folgenden drei Gleichungen:
$q_B + q_0 = q_A \hspace{11em}$ (1-ind)
$q_A =\frac{\vartheta-\vartheta_A}{R_A} \hspace{12em}$ (2-ind)
$q_B =\frac{\vartheta_B-\vartheta}{R_B} \hspace{12em}$ (3-ind)
Wir lösen Gleichung (2-ind) nach $\vartheta$ auf und ersetzen darin dann $q_A$ gemäß Gleichung (1-ind):
$\vartheta = \vartheta_A - R_A \cdot q_A = \vartheta_A - R_A \cdot (q_B + q_0)$
Wenn wir diesen Wert für $\vartheta$ in Gleichung (3-ind) einsetzen, dann erhalten wir eine Gleichung mit nur noch einer Unbekannten, nämlich $q_B$, die wir nach $q_B$ auflösen können. So erhalten wir
$q_B = \frac {\vartheta_B - \vartheta_A}{R_A + R_B} - \frac {R_A}{R_A+R_B} \cdot q_0 \hspace{6em}$ (4-ind)
Der erste Summand ist identisch mit dem Wärmestrom ohne die zusätzliche Quelle2). Der zweite Term gibt somit an, welcher Teil des Zusatzquellstroms auf die Seite B „geliefert“ wird. Der Quellstrom teilt sich daher im Verhältnis des gegenüberliegenden Durchlasswiderstandes zum Gesamtwiderstand auf.
Eine Bemerkung schon an dieser Stelle im Vorgriff auf später genauer behandelte Details: Die hier dargestellte Überlegung gilt zunächst für den vorausgesetzten (quasi-)stationären Fall: Dass sich nämlich weder $\vartheta_A$, noch $\vartheta_B$ noch $q_0$ im Zeitverlauf ändern. Diese Voraussetzung ist allerdings gerade bei Vorgängen mit eingestrahlter Solarenergie kaum zutreffend; es kann noch nicht einmal behauptet werden, dass dies für die hier jeweils relevanten Zeiträume 'annähernd' zutreffend sei. Was allerdings zutrifft: Wenn wir eben nicht die Momentanwerte der Temperatur und der Einstrahlung betrachten, sondern ihre Mittelwerte über z.B. 5 mal 24 h, dann gelten die hier dargestellten Gleichungen für diese zeitlichen Mittelwerte bereits in guter Näherung. Die Näherung ist umso besser, je weniger sich die Temperaturverteilung im Bauteil nach diesen 5 mal 24 h von der davor unterscheidet. Diese letzte Bedingung allerdings kann in ziemlich guter Näherung in allen etwa monatlichen Zeitperioden eines Jahres (sei es Juli oder Dezember) erfüllt werden. So kann auch an dieser Stelle schon eingesehen werden, warum diese Gleichungen in guter Näherung für die Energiebilanzen des Bauteils über einen monatlichen Mittelwert gelten. Wir werden später sogar quantitativ für bauübliche Konstruktionen sogar beweisen, dass im Mittel über mehrere Jahre die angegebenen Beziehungen sogar bis auf einen quantifizierbaren und in der Regel vernachlässigbaren Summanden exakt sind3).
Kommen wir zurück auf die konkrete Anwendung: Das Bauteil habe außen eine transparente Schicht (das kann auch einfach nur die oberflächennahe Schicht der Außenluft sein), so dass Solarstrahlung bis zur Ebene mit der Temperatur $\vartheta$ vordringen kann. Auf dieser Ebene werde der Anteil $\alpha$ (Absorptionsgrad) der Solarstrahlung absorbiert – der Rest werde reflektiert. $q_0$ in Gleichung (4-ind) ist dann das Produkt aus solarer Strahlungsdichte $q_{sol}$ und $\alpha$.
$q_B = \frac {\vartheta_B - \vartheta_A}{R_A + R_B} - \frac {R_A}{R_A+R_B} \cdot \alpha \cdot q_{sol} \hspace{6em}$ (5-ind)
Der Faktor $ \frac {R_A}{R_A+R_B} \cdot \alpha \,$ ist gerade der Anteil der eingestrahlten Sonnenenergie, der auf indirektem Weg vom Bauteil auf die Innenseite übertragen wird. Wir nennen diesen den „indirekten (Solar-) Energie-Durchlassgrad“ (English: (indirect) Solar Heat Gain Coefficient SHGC). Er wird üblicherweise mit dem Buchstaben $g$ abgekürzt, kurz auch g-Wert genannt.
$ g_{opak} \:= \frac {R_A}{R_A+R_B} \cdot \alpha \,$
Auch hier ist natürlich $ U=\frac {1}{R_A+R_B}\,$. Daraus ist sofort erkennbar, dass der indirekte Strahlungsdurchlass ebenfalls proportional zum U-Wert des Bauteils ist; Bauteile mit kleineren U-Werten haben um das U-Wert-Verhältnis kleinere Wärmeverluste im Temperaturgefälle - und sie haben ebenfalls um das U-Wert-Verhältnis verkleinerte passiv solare Gewinne.
Das klärt übrigens eine der oft emotional geführten Debatten um die Wirkung von zusätzlicher Wärmedämmung an Außenbauteilen: Da wird manchmal behauptet, ein solcher Wärmeschutz sei wirkungslos oder gar kontraproduktiv, weil er die indirekt passiv solare Nutzung herabsetzt. Was ist das dran?
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Aus der Praxis: Messungen an einer Außenwand, die die Ergebnisse dieses Abschnitts illustrieren