Aus den Energiedaten1) sind die Ursachen für die immer noch bestehende Abhängigkeit von fossiler Energie leicht herauszulesen: Zwischen etwa 1980 und 2008 hatten wir in Deutschland die Verbesserung der Energieeffizienz durchaus ernst genommen. Jede Wärmeschutzverordnung war ein Fortschritt gegenüber der vorhergehenden, es wurden auch Gebäude im Bestand, zwar nicht wirklich ausreichend, aber immerhin energetisch modernisiert. Seit etwa 2009 stagnieren diese Bemühungen: U.a. wegen der Bankenkrise lag ab dann die „volle Konzentration“ in der Bauwirtschaft auf dem Neubau2). Es wurde kaum noch und wenn, dann völlig unzureichend modernisiert. Schon die EnEV-02 brachte keinen Fortschritt mehr in der Substanz – und trotz europäischer Gebäuderichtlinie (EBPD) haben sich in Deutschland die Vorgaben bei allen folgenden Verordnungen nicht mehr verbessert (das war übrigens auch jeweils der Kernpunkt der offiziellen Verlautbarungen der jeweiligen Koalitionen: „Wir waren uns einig, dass es keine Verschärfung …“). Ein attraktives Anreizprogramm zur baulichen Energieeffizienz-Verbesserung scheiterte an Streitereien zwischen den Regierungsparteien, an der Wohnungswirtschaft und massiven Lobby-Einflüssen der Gaswirtschaft, aber auch an Teilen der Bauwirtschaft. Die Stagnation ist im Diagramm an der gestrichelten blauen Trendlinie 2010 bis 2020 zu erkennen. Beide Entwicklungen, sowohl der Erfolg 2000 bis 2010, als auch die Stagnation 2010-heute sind aus den eingeblendeten Trendgeraden augenfällig abzulesen. Statistisch analysiert, sind beide Trends signifikant3) - es handelt sich also um empirisch gesicherte Belege für einerseits den Erfolg und andererseits die Stagnation.
Die Folgen der Untätigkeit sind unausbleiblich: Seit 2010 stagniert der spezifische Wärmebedarf in DE. Davor waren die eingeleiteten Wärmeschutzmaßnahmen durchaus erfolgreich, wie die grün gestrichelte Trendlinie 2000-2010 zeigt. In diesem Zeitraum kamen wir im Schnitt etwa 5 kWh/(m²a) jedes Jahr im Verbrauch herunter; dieser Prozess verlief sogar weitgehend linear, und das kann auch weiterhin bis zu einem Wert von um 40 kWh/(m²a) so sein4). Übrigens nahm auch der gesamte Verbrauch an Heizwärme der Haushalte im Zeitraum 2000 bis 2010 von ursprünglich 604 TWh um ca. 25% auf 462 TWh ab5). Seit 2010 hat dieser Verbrauch wieder um 5% zugenommen6).
Bisher stehen alle Zeichen auf „nur weiter so wie 2010 bis 2020“; auch der GEG-Entwurf bleibt selbst nach der Überarbeitung durch die Ampel-Koalition weit hinter dem Stand der Technik und den angesichts der Energiepreisexplosion angezeigten Erfordernissen zurück und verbessert sich praktisch gar nicht; dafür wird das Regelwerk umfassend noch weiter verkompliziert, wodurch die Umsetzung insbesondere im Bestand weiter erschwert wird7). Geht es tatsächlich auf diesem Pfad ('Pfad 1' in der Grafik, blau gestrichelt) weiter, dann setzt sich auch der Trend fort, und die Verbrauchswerte werden auch weiterhin stagnieren. Ein Erfolg der Energiewende ist so nicht erreichbar - vielleicht auch gar nicht erwünscht.
Wie der Zeitraum 2000-2010 zeigt, geht es auch anders: Wenn der Nachdruck auf tatsächliche Verbesserungen sowohl der Bausubstanz als auch der Gebäudetechnik liegt, dann sind Reduktionen um 3,5% jedes Jahr erreichbar8). Die sind auch kaum nach unten hin begrenzt, wie die erfolgreichen EnerPHit-Sanierungsprojekte aus „Retrofit with Passive House components“ zeigen9): In den dokumentierten baulichen Modernisierungs-Projekten wurden regelmäßig Heizwärmebedarfswerte zwischen 15 und 30 kWh/(m²a) erreicht; das Potential ist also keinesfalls bei den heutigen im Durchschnitt 129 kWh(m²a) schon 'ausgeschöpft'. Die Energiewende kann daher auch in der Zukunft noch erfolgreich werden: Sie erfordert aber, dass die Blockade bei der Umsetzung energiesparender Maßnahmen aufgehoben wird. Wie im Übrigen auch die Blockade beim Ausbau der Erneuerbaren Energie. Das zeigt der „Pfad 2“ der gestrichelten grünen Linie im Diagramm, bei dem der Erfolgstrend von 2000-2010 ab 2022 wieder aufgenommen wird.
Die vorliegende Blockade der Energieeffizienz-Maßnahmen war erklärter Maßen gewollt, und zwar in allen Parteien. Der zugehörige Druck kam dabei, wie jetzt allmählich erkennbar wird, vor allem von Seiten der Erdgas-Anbieter. Dort wurde Glauben gemacht, dass Erdgas eine nachhaltige und umweltfreundliche Energiequelle sei und dass es ausreicht, einfach nur die gesamte Infrastruktur weitgehend auf Erdgas umzustellen. Eigens dafür musste auf Druck Deutschlands sogar Erdgas (eine fossile Energiequelle mit letztlich kaum geringerem GWP als Erdöl) in den Katalog der besonders nachhaltigen und förderungswürdigen Energieträger der Europäischen Union aufgenommen werden10).
Selbst von ökologisch engagierten Menschen wurde die Geschichte von der angeblichen “Brückentechnologie“ oft geglaubt. Dass diese Brückentechnologie-Legende seitens der Gasbranche nicht ernst gemeint ist, wird deutlich an dem für notwendig gehaltenen Bau der Leitung 'Nordstream 2': Eine solche Leitung kann nicht rentabel sein, wenn sie nicht viele Jahrzehnte genutzt wird. Niemand hatte ernsthaft vor, innerhalb der für den Klimaschutz kritischen Zeiträume die Gaslieferungen aus Sibirien zu verringern. Olaf Scholz hatte dann sogar bei seiner Moskaureise öffentlich darüber spekuliert, dass 'in Zukunft wohl „nachhaltiges Gas“ durch diese Leitung kommen' müsste. Woher nur soll das nun ausgerechnet aus Sibirien kommen? In die Diskussion gebracht wird heute gern „grüner Wasserstoff“. Dass dieser wegen des deutlich geringeren volumenbezogenen Heizwertes allenfalls 15% der über Erdgas durch die Leitungen transportierten Energieströme substituieren kann, wird dabei verschwiegen. Dass dies außerdem eine extrem teure Lösung im Vergleich zu den gewohnten Erdgaspreisen darstellt, ebenfalls; es würde dazu eine vollkommen neue Infrastruktur gebraucht. Ähnlich wie schon der CCS-Hype (CO2-Auffangen und dann Endlagern), der nie über die wenigen kleinen Testprojekte hinaus umgesetzt wurde, weil letztlich als „viel zu teuer“ erkannt, ist der Wasserstoff-Hype ein erneutes Ablenkungsmanöver: Selbstverständlich kann (erneuerbar erzeugter!) Wasserstoff in einigen Bereichen der Industrie eine Alternative zu fossilen Energieträgern sein, wobei auch für die ausgewählten Prozesse (z.B. Glasschmelze oder Stahlverhüttung) höchstmögliche Energieeffizienz dann Grundvoraussetzung dafür ist, dass dieser Ansatz bezahlbar bleibt. Den Wasserstoff aber auch im vorhandenen Gasnetz als 1:1-Substitution für das bisher verteilte Erdgas anzusehen geht an den technischen und ökonomischen Realitäten vorbei - bei den heute vorliegenden Verbrauchsniveaus wäre das nicht bezahlbar, das gilt auch für die Substitution von Treibstoffen im Verkehr. In beiden angesprochenen Bereichen ist der entscheidende Betrag die verbesserte Effizienz; dann bieten sich dort aber weit kostengünstigere (eben reinelektrische) Lösungen, wie Elektro-Traktion und Wärmepumpen an.
Für das Erreichen der Klimaziele ist es aber auch jetzt nicht zu spät. Die bisher brach liegenden Potentiale zur Energieeffizienz-Verbesserung können technisch und ökonomisch weiter umgesetzt werden. Das allerdings ist eine Voraussetzung für die Zielerreichung. Und dazu muss vor allem der Wille vorhanden sein. Wie dabei konkret vorgegangen werden kann, zeigen auf Passipedia die Seiten zu Energieeffizienz JETZT! Im Gegensatz zu den Großlösungen mit Megatonnen von Energieträger-Lieferungen, die vor allem Großkonzerne und Großanleger fördern, baut der Effizienz-Pfad (Pfad 2, grün dargestellt) auf eine Vielzahl von substantiellen Verbesserungen an Fenstern, Dächern, Außenwänden, Heizsystemen und Geräten des Endverbrauchs. Die Wertschöpfung erfolgt dabei weit verteilt über die gesamte Wirtschaft, in hohem Ausmaß aber bei kleinen und mittleren Betrieben, insbesondere beim Handwerk. Es handelt sich dabei fast ausschließlich um Europäische Wertschöpfung. Es waren schon immer solche Unternehmen, die die Hauptsäule einer stabilen Wirtschaftsstruktur ausmachten - und auch die, welche in Krisenzeiten Probleme 'globaler Lieferketten' abfangen mussten. Diese Entwicklungsrichtung zu stärken müsste eigentlich den erklärten Zielen aller politischer Parteien entsprechen.11)
Die Entwicklung bzgl. der Nachhaltigkeit der Kraftfahrzeuge zeigt eine ähnliche Situation: Die Effizienz der Fahrzeuge wurde bis etwa 2010 kontinuierlich erfolgreich verbessert - danach trat eine Stagnation ein. Auch im Verkehrssektor ist es möglich, die Erfolgsstrategie verbesserter Fahrzeuge wieder aufzunehmen.
Ganz und gar nicht! Wissenschaftliche Erkenntnis und technisches Know-how werden gerade auf einem solchen Pfad verstärkt angestoßen:
[Bastian 2022]: Retrofit with Passive House Components, Energy Efficiency (2022) 15:10, https://link.springer.com/epdf/10.1007/s12053-021-10008-7
[Energiedaten] Hrsg. BMWi, [[http://www.bmwi.de/Navigation/DE/Themen/energiedaten.html]
Im August 2022, Autor: Prof. Dr. Wolfgang Feist